von HANS JÖRG FRIEDRICH, (veröffentlicht im Querbrief 2/2018)
Wie kann eine andere, zukunftsfähige Welt aussehen? Dieser Frage wollen wir in dieser Serie auf den Grund gehen.
Buen Vivir – Gutes Leben – ist die Übersetzung des Quechua-Begriffs sumak kawsay. In den Andenländern steht es für die gemeinsamen Werte der indigenen Weltanschauung: Gut lebt, wer sich der sozialen Gemeinschaft und Mutter Erde zugehörig fühlt und entsprechend handelt. Anders gesagt: Das bürgerliche Subjekt, das seinen Mitmenschen und der Natur (und sei es wohlwollend) gegenübersteht, hat sich vom Buen Vivir schon weit entfernt. Auch anthropozentrische Vorstellungen von Glück oder Fortschritt sind dem Buen Vivir fremd.
Viel mehr lässt sich zum Buen Vivir nicht sagen, ohne sich schon auf umstrittene Lesarten zu beziehen. Dass der Quechua-Begriff mit seinen lebensweltlichen Bezügen im andinen Hochland in anderen indigenen Sprachen gleich verstanden wird, wird von Fachleuten bezweifelt. Das gilt erst recht für seine Übersetzungen in die Sprachen ganz anderer Gesellschaften. Eine umfassende Praxis des Buen Vivir gibt es ebenso wenig wie „heilige Texte“, die einfache Regeln vorgeben. Es besteht aber ein sozialwissenschaftlicher Diskurs, der sich – neben zeitgenössischen indigenen bzw. südamerikanischen Intellektuellen – auch von europäischen Denkern inspirieren lässt. Hier lassen sich unschwer Bezüge zu Kapitalismuskritik, Degrowth-Ansätzen oder Ökologie ausmachen.
Die neuen Verfassungen Ecuadors (2008) und Boliviens (2009) versuchen, das Buen Vivir in die politische Praxis zu tragen. In Ecuador reicht dies bis zur Kodifizierung von Rechten der Natur, in Bolivien wird vor allem soziale Gerechtigkeit akzentuiert. Der bolivianischen Regierung wird vorgeworfen, sie nutze das Buen Vivir als Herrschaftsideologie und Deckmantel einer Politik ungebremster Rohstoffausbeutung für ein vorgebliches Gemeinwohl. In Europa wiederum droht die Idee oberflächlich vereinnahmt zu werden, als wisse man schon, wovon die Rede sei. So werden allenthalben zustimmend Grundideen zitiert, die, zu Ende gedacht, individuelle Selbstverwirklichung oder die Beteiligung an der Rohstoffausbeutung in Frage stellen. Buen Vivir ist ein radikales Gegenbild zu unserer Lebensweise und hat uns vor allem dort etwas zu sagen, wo es uns verstört. In konkreten Situationen kann es eine veränderte Praxis inspirieren. Letztlich sucht Buen Vivir keine alternative Entwicklung, sondern eine Alternative zur Entwicklung.
Weltfriedensdienst 25.06.2018
Gepostet in: Aktuelles, Das Friedensmagazin zusammen:wirken