Tim Bunke berät als Friedensfachkraft unsere Partnerorganisation „Isiolo Peace Link“ in Nordkenia. In seinem Beitrag im Jahresbericht 2017 nimmt er uns mit ins Büro der Partnerorganisation.

Eine Konfliktanalyse als Diskussionsgrundlage

Es ist Nachmittag, die Sonne steht hoch am fast wolkenlosen Himmel in Isiolo und es weht ein stetiger Wind. Feiner Staub legt sich über alles im Raum. Tische, Stühle, Aktenordner … Während ein junger Mann in einem karg eingerichteten Raum an einem Laptop sitzt, hört man im Hintergrund einen Muezzin Muslime zum Gebet rufen. Der junge Mann lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen und tippt stoisch weiter an einem Dokument.

Eric, der hier so konzentriert arbeitet, ist mein Kollege bei unserer Partnerorganisation Isiolo Peace Link (IPL). Er ist ledig, wird bald 30, denkt oft und laut über das Heiraten nach, ist Angehöriger der Ethnie der Meru und geht jeden Sonntag in die Kirche. Als Projektkoordinator ist eine seiner Aufgaben die Planung, Durchführung und Dokumentation der vom Weltfriedensdienst unterstützten Aktivitäten in Isiolo County.

Isiolo County ist eines von 47 Counties in Kenia, die von ihrer Struktur vergleichbar sind mit deutschen Bundesländern. Es ist flächenmäßig eines der größten Counties in Kenia und befindet sich im ariden Norden. Die Region wird zu einem Großteil von Pastoralisten bewohnt, d.h. Menschen, die von und mit ihrem Vieh – Kamelen, Kühen, Ziegen, Schafen – leben und teils auch mit ihnen durch die weite Landschaft ziehen.

Im Moment ist Eric dabei, eine Konfliktanalyse zu erstellen. In Garba Tulla, 120 km östlich von Isiolo Stadt, gab es gewaltsame Zusammenstöße zwischen Angehörigen der Ethnien der Borana und der Somali. Nach ersten Informationen verloren drei Menschen ihr Leben. Das Verfassen der Konfliktanalyse ist ein erster Schritt, bevor Aktivitäten durchgeführt werden. Es hat eine Doppelfunktion. Zum einen dient es als Sicherheitshinweis für alle beteiligten Akteure – MitarbeiterInnen von IPL, dem Weltfriedensdienst und anderen – sowie als erste Grundlage für die Planung möglicher Aktivitäten oder Interventionen.

Das Team unserer Partnerorganisation bei der Arbeit.

Am nächsten Tag ist der Konferenzraum von IPL voll besetzt. Die Gruppe ist überaus vielfältig: Neben Eric eine Frau mit Kopftuch in traditioneller Somalibekleidung, ein älterer Herr mit Fez auf dem Kopf, eine junge Frau mit deutlich sichtbarem Kreuzanhänger um den Hals sowie mehrere junge Leute, die eifrig bei der Diskussion mitschreiben. Die Belegschaft von IPL diskutiert nächste Schritte auf Grundlage von Erics Bericht. Die Diversität der Angestellten spiegelt die vielfältige multiethnische Landschaft Nordkenias wieder: In Isiolo County allein leben Muslime und Christen sowie fünf große ethnische Gruppen mehr oder weniger friedlich zusammen. Ich begleite die Diskussion des Teams, ob und wie man den von Eric vorgestellten Konflikt bearbeiten kann. Schnell ist klar: Es geht wieder einmal um den Zugang und die gerechte Verteilung einer Ressource. Bei den beiden in den Konflikt verwickelten Gruppen handelt es sich um Pastoralisten, die um Weideflächen und Wasser für ihr Vieh kämpfen.

Interventionen messbar machen – was haben wir bewirkt?

In den vergangenen Wochen ist viel passiert. Eric sitzt wieder am Computer und tippt konzentriert. Dieses Mal schreibt er an einem Bericht über die Intervention von IPL im Konflikt der Pastoralisten. IPL war seither mehrmals in der Konfliktregion unterwegs. Meine KollegInnen führten Gespräche mit den Ältesten der Konfliktparteien. Der Höhepunkt war ein gemeinsames Forum, bei dem sich die Entscheidungsträger der beiden Gruppen trafen und mögliche Lösungswege miteinander diskutierten. Danach beruhigte sich die Lage augenscheinlich wieder. Ob und wie der Frieden hält, lässt sich wie so oft erst mit einigem zeitlichen Abstand beantworten.

Für den Moment jedoch ist Eric weiterhin dabei, diese komplexen Zusammenhänge unserer Intervention zu Papier zu bringen. Neben der reinen Beschreibung der Treffen, des Wie, Wo, Wer, Wann, versuchen wir in Diskussionen im Büro zu klären, welche Wirkung unsere Intervention hatte. Hierzu hat IPL in Zusammenarbeit mit dem Weltfriedensdienst ein eigenes Format zur Messung und Darstellung von Wirkung entwickelt. Mit Indikatoren versuchen wir zu eruieren, ob und wie wir Wirkung erzielen. Hier prüfen wir, wie oft und in welcher Konstellation Angehörige der Ethnie der Borana und der Somali gemeinsam Hochzeiten, Beerdigungen, Feiertage begangen haben. Doch sind das geeignete Indikatoren, um in genau dieser Situation Frieden zu „messen“?

Dieses auf den ersten Blick bürokratisch erscheinende Element der Friedensarbeit ist ein zentraler Teil des Projekts. Neben der Zusammenarbeit mit unserem Partner zu Ressourcenkonflikten, entstehenden Infrastrukturprojekten sowie aufkommendem gewaltsamem Extremismus ist diese eine meiner Hauptaufgaben: Unseren Partner durch meine externe Perspektive in seinen internen Prozessen so zu beraten und zu stärken, dass jede durchgeführte Aktivität einen Lerneffekt hat und Wirkung zeigt. Erics konzentriertes Tippen ist einer der vielen kleinen Schritte zu einem friedlicheren Zusammenleben in Isiolo County.

Dr. Tim Bunke, Kenia – Unsere Mitarbeiter im Projekt Landverteilung in Kenia

28.09.2018

Gepostet in: Aktuelles, Kenia: Gemeinsam für eine gerechte Landverteilung