Von Matthias Hoffmeister und Théogène Habyarimana (Veröffentlicht im KOMPASS #6 Migration anders denken)
Burundi ist einer der kleinsten Staaten Afrikas, aber – ebenso wie der nördlich gelegene Nachbarstaat Ruanda – dicht besiedelt. Im Index der menschlichen Entwicklung lag Burundi 2016 auf Platz 184 von 188. Das Land hatte 2016 das weltweit drittniedrigste BIP pro Kopf. Das Durchschnittsalter beträgt 16,7 Jahre. Soziale Ungleichheiten und heftige politische Krisen haben in Burundi zu Flucht und Vertreibung Tausender geführt. Nach den Gräueltaten der 1990er-Jahre waren schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen vertrieben oder auf der Flucht.
Der 2001 eingeleitete Friedensprozess hat zwar zur Rückkehr vieler BurunderInnen geführt, zugleich aber auch zur Verschärfung innergesellschaftlicher Konflikte. Dabei spielt die dichte Besiedlung des ostafrikanischen Landes und die Knappheit an fruchtbare Böden eine zentrale Rolle. Zivilgesellschaftliche Friedenskomitees begleiten den Friedensprozess seither, indem sie etwa in Landkonflikten vermitteln und gegen ethnische Feindbilder und Stereotypen, für Vorurteilsfreiheit und Versöhnung werben, wie etwa Mi-PAREC. Doch Anfang 2015 stürzte Burundi erneut in eine tiefe Krise. Seither haben mehr als 500.000 Menschen ihre Heimat verlassen, und diese Migrationsbewegung hält weiter an. Burundi trat als erster Mitgliedsstaat mit Wirkung vom 27. Oktober 2017 aus dem Internationalen Strafgerichtshof aus.
Seit Jahrzehnten wird Burundi von politischen Krisen und Gewaltkonflikten erschüttert. Der 2001 eingeleitete Friedensprozess hat viele Flüchtlinge und Binnenvertriebene zurück in ihre Heimat geführt. Allerdings sind damit auch neue Konflikte um Land und politische Rechte verbunden. Der KOMPASS war mit Dieudonné Kibinikanwa, Direktor der burundischen Nichtregierungsorganisation Mi-PAREC, im Gespräch. Thema waren die Herausforderungen der friedenspolitischen Arbeit in einer von Flucht und Vertreibung gezeichneten Gesellschaft.
Welche Rolle spielt Migration in der Gesellschaft, in der Sie leben?
Burundi wird seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1962 immer wieder von politischen Krisen erschüttert, die zur Flucht Tausender Menschen ins Ausland und einem Heer von Binnenvertriebenen beigetragen haben. In allen Teilen der Welt finden sich BurunderInnen, die vor den Gräueltaten und Gewaltexzessen, die unser Land erfahren hat, geflohen sind. Allein seit der Krise von 2015 sahen sich mehr als 500.000 Menschen gezwungen das Land verlassen, und diese Migrationsbewegung hält weiterhin an. Die meisten emigrierten BurunderInnen leben in den Ländern der benachbarten „Great Lakes region“, wie Ruanda, der Demokratischen Republik Kongo, Tansania oder Uganda. Diese Migrationsbewegung beeinflusst ganz Burundi. Besonders betroffen sind die Grenzregionen des Landes. Die Migrationsströme spielen eine negative Rolle in allen Bereichen: Erstens auf wirtschaftlicher Ebene aufgrund der Abwanderung von Fach- und Arbeitskräften, die Wachstumseinbußen mit sich bringt. Zweitens führt Migration dazu, dass die gesellschaftlichen Spannungen und daraus resultierende Landkonflikte zunehmen und der soziale Zusammenhalt nachlässt. Die Migration wirkt sich auf die gesamte Entwicklung des Landes aus, sie wird grundsätzlich instabiler.
Welche Hintergründe haben diese Migrationsbewegungen?
Die BurunderInnen, insbesondere die Jugendlichen und Frauen, erleben tagtäglich Unsicherheit und Gewalt. Diese kann krimineller, politischer, wirtschaftlicher, struktureller und/oder sexueller Art sein. Dementsprechend herrscht ein allgemeines Klima der Angst und Einschüchterung. Das Vertrauen der breiten Masse gegenüber dem Staat brach nicht zuletzt durch Korruption, Landkonflikte, eine ethnisch-orientierte Politik, Menschenrechtsverletzungen und fehlende Rechtsstaatlichkeit. Die Entstehung bewaffneter Gruppen, die das Gewaltmonopol des Staates untergraben und weitere Menschenrechtsverletzungen begehen, verstärkt die gesellschaftliche Fragmentierung. Um das Land zusammen zu führen fehlen legitime Mechanismen zur Vergangenheitsaufarbeitung, an der sowohl die Opfer als auch die ganze Bevölkerung aktiv teilhaben können. Nur ein holistischer Ansatz der Versöhnung kann zu einem Ende der sogenannten „Kultur der Straflosigkeit“ beitragen. In der gescheiterten Vergangenheitsaufarbeitung liegt meines Erachtens auch die Hauptursache des Mangels an Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit in Burundi. Die Übergangs-Justizmechanismen sind unglaubwürdig und deshalb kann nicht sichergestellt werden, dass niemand über dem Gesetz steht. Viele, die Unrecht begehen, bleiben also straffrei, und bestehende Konflikte verschärfen sich weiter. Zahlreiche BrunderInnen versuchen diesem Teufelskreis der Gewalt zu entkommen und schließen sich den Migrationsbewegungen an.
Wie wird in Burundi mit dem Thema umgegangen?
Bis heute haben die burundischen EntscheidungsträgerInnen kein umfassendes, stimmiges Konzept vorgelegt, um eine friedliche sozioökonomische Entwicklung des Landes zu befördern und so auch den Migrationsbewegungen entgegenzuwirken. Es gibt aber erste kleine Schritte, insbesondere der Zivilgesellschaft. Mit sporadischen Initiativen widmet sie sich einzelnen dringenden Problemen, beispielsweise dem Rückführungsprozess burundischer Geflüchteter aus den Nachbarländern, der von NGOs oder UN-Organen wie dem UNHCR durchgeführt wird. Auch auf politischer Ebene gibt es erste Erfolge. So wurden Institutionen wie die Nationale Landkommission (Commission National des Terres et Biens) gegründet, die sich wichtigen Fragen und Konflikten zur Landverteilung widmet. Ein weiteres Beispiel ist die Kommission für Wahrheit und Versöhnung (Commission de Vérité et Réconciliation), die sich mit der Vergangenheitsaufarbeitung beschäftigt. All diese Antworten konnten allerding nicht nachhaltig verhindern, dass die Migrationsbewegungen weiterhin anhalten.
Das Interview führte Matthias Hoffmeister, Kooperant des Weltfriedensdienst e.V. in Burundi. Interview aus dem Französischen von Jo Schmitz und Martina Körner für LinguaTransFair.
Zusammen mit Mi-PAREC und dem Projekt des Weltfriedensdienst e.V. „Burundi: Versöhnung unterstützen“ wurden Friedenskommitees, Jugendzentren und Trauma- und Selbsthilfegruppen initiiert. Die Beteiligten engagieren sich für ein friedliches Zusammenleben. Dabei spielt die Aufarbeitung der durch vergangene kriminelle, politische, wirtschaftliche, strukturelle und/oder sexuelle Gewalt entstandenen Traumata eine Schlüsselrolle. Auch eine nachhaltige sozioökonomische Entwicklung innerhalb der Gemeinden steht im Vordergrund. Diese Gruppierungen sind die zentralen AnsprechpartnerInnen für die Intervention des Weltfriedensdienst e.V. und konnten bereits bedeutende Fortschritte innerhalb ihrer Gemeinden erzielen.
Was sich in Burundi ändern muss, beschreiben Dieudonné Kibinikanwa (Direktor von Mi-PAREC) und der Kooperant des Weltfriedensdienst Théogène Habyarimana (aufgewachsen in Ruanda, Studium in Deutschland) so: „Burundi braucht mehr sozialen Zusammenhalt, die burundischen BürgerInnen müssen sich untereinander mehr vertrauen, trotz ihrer Unterschiedlichkeiten. Sie müssen sich gemeinsam für die Förderung des Friedens und der Sicherheit aller BürgerInnen einsetzen, anstatt sich von der Angst leiten zu lassen, dass ihnen ihre NachbarInnen etwas antun könnten. Frauen und Jugendliche sollten dabei im Zentrum dieser Zusammenarbeit stehen.
Auch die burundischen Machthaber müssen den sozialen Kontakt mit ihren BürgerInnen verstärken – unabhängig davon, wer sie sind und welchen ethnischen oder politischen Hintergrund sie haben. Nur so können sich alle BurunderInnen darauf verlassen, dass ihre Sicherheit gewährleistet wird. Und staatliche Instanzen können darauf vertrauen, dass die BürgerInnen ihr Gewaltmonopol nicht herausfordern, etwa indem sie sich bewaffneten Gruppen anschließen. Von einem Dialog zwischen Politik und der breiten Masse würden beide Seiten profitieren.
Darüber hinaus brauchen vor allem die Jugendlichen positive Zukunftsperspektiven. Nur so können sie sich politischen oder rassistischen Manipulationsversuchen entziehen. In einem friedlichen und stabilen Burundi sind sie immun gegen Rekrutierungsversuche von bewaffneten Gruppen.
Um eine Zukunft ohne Angst und Gewalt aufzubauen, ist es schließlich notwendig, dass die BurunderInnen ihre gewaltsame Vergangenheit in ihr historisches Erbe integrieren. Der formelle und informelle Prozess der Übergangsjustiz muss in einen sozialen Neuanfang münden und historische Ungerechtigkeiten nachhaltig ausräumen.“
Mit der diesjährigen Ausgabe unseres Themenmagazins KOMPASS „Migration anders denken“ begegnen wir mit „Perspektiven aus dem Globalen Süden“ den unterschiedlichen Facetten von Migration.
Laut der „Internationalen Organisation für Migration“ macht die Süd-Süd-Migration mit mittlerweile mehr als 92 Millionen MigrantInnen den größten Teil der weltweiten Migration aus. Im KOMPASS #6 werfen 12 Beiträge, die unsere SüdpartnerInnen in Afrika, Südamerika und Asien gesammelt und aufgeschrieben haben, ein neues Licht auf die Thematik.
Weltfriedensdienst 15.05.2018
Gepostet in: Burundi: Versöhnung unterstützen, Der KOMPASS - Das Themenheft des Weltfriedensdienst