Von Tim Bunke (Veröffentlicht im KOMPASS #6 Migration anders denken)

Der Autor ist Kooperant des Weltfriedensdienst e.V. und Fachkraft des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) in Kenia. Gemeinsam mit dem Projektpartner Isiolo Peace Link setzt er sich dafür ein, dass die im Isiolo County lebenden Men­schen besser in die für diese Region geplanten Investitions­projekte eingebunden werden. In Planung ist der Bau von Straßen, Schulen und Krankenhäusern. Isiolo Peace Link hat sich zum Ziel gesetzt eine Lösung für die infrastrukturelle Erschließung der Region zu finden, bei der die traditionelle pastorale, d.h. teilweise oder vollständig nomadische Lebensweise erhalten wird. Von der Situation pastoral lebender Menschen im Norden Kenias berichtet Tim Bunke in KOMPASS #6 Migration anders denken.

 

Das ostafrikanische Kenia ist eines der widersprüchlichs­ten Länder des Kontinents: auf der einen Seite Safaris, weiße Strände, buntgekleidete Massai, schneebedeckte Berge – und auf der anderen Seite die größten Slums Afrikas (so sagt man zumindest), Flüchtlingslager und schreckliche Terrorangriffe.

So zählte beispielsweise Dadaab, nicht weit von der Grenze zu Somalia, mit zu den größten Flüchtlingslagern der Welt. Migra­tion ist also auch in Kenia allgegenwärtig. Oftmals übersehen bleibt aber eine Form von Migration, die in Kenia und angren­zenden Ländern wie z.B. Äthiopien oder Uganda weit verbrei­tet ist: der Pastoralismus. Unter diesen Begriff versteht man sogenannte Viehzüchtergesellschaften, die einen teilweise oder ganzheitlich nomadischen Lebensstil pflegen. Diese Menschen ziehen mit ihren Herden durch die karge Landschaft, auf der Suche nach Weidegründen und Wasser für ihr Vieh. Landbesitz in seiner europäischen Form ist hier nicht existent, vielmehr steht die Landnutzung – oft auch über ethnische und staatliche Grenzen hinweg – im Vordergrund.

Kenia, „das Land der Vielfalt“, zeichnet sich durch eine hohe gesellschaftliche und naturräumliche Diversität aus. Es lässt sich grob in drei Naturräume aufteilen: das südwestliche Hoch­land, das zum Teil mehr als 2.000 Meter über dem Meeresspie­gel liegt und sich durch ein gemäßigtes Klima auszeichnet, die Küstenregionen mit tropischem Klima und die ariden und semiariden Gebiete im Norden Kenias. Flächenmäßig ist diese Savannen- und Wüstenregion mit etwa 80 Prozent des Staats­gebiets am größten, allerdings ist die Bevölkerungsdichte hier sehr niedrig (mit etwa 25 Prozent der Bevölkerung Kenias).

Aufgrund der schwierigen Wasserversorgung in den ariden Landesteilen pflegen einige Volksgruppen seit Jahrhunder­ten einen nomadischen Lebensstil, bei dem die Haltung von Nutztieren wie Kamelen, Rindern, Schafen und Ziegen zur Nahrungsgewinnung im Vordergrund steht. Die in Tourismus­broschüren allgegenwärtigen Massai, aber auch viele weitere ethnische Gruppen wie Samburu, Pokot, Marakwet, Turkana, Borana und Somali ziehen mit ihren Herden, die Tausende Tiere umfassen können, in den trockenen Weiten Kenias umher. Dabei sind sie auf ständige Ortswechsel angewiesen und über­schreiten mitunter auch die Landesgrenzen, insbesondere zu Uganda, Äthiopien und Somalia.

Der Norden war lange vernachlässigt…

Während der Kolonialzeit wurde der Norden Kenias von den britischen Kolonisatoren nur in geringem Ausmaß besiedelt bzw. verwaltet. Vielmehr wurde er als Pufferzone zum allzeit unabhängigen Kaiserreich Äthiopien sowie dem damals teils italienisch besetzten Somalia betrachtet. Die weitgehende Zurückhaltung staatlicher Stellen setzte sich nach der keni­anischen Unabhängigkeit 1964 fort, große Teile der Region wurden sich selbst überlassen. Noch heute zeigt sich dies in der infrastrukturellen Vernachlässigung des Nordens sowie den weitverbreiteten ethnischen Konflikten, die sich zum Teil aus lang anhaltenden Ressourcenkämpfen speisen und sich mit dem voranschreitenden Klimawandel noch zusätzlich verstärken.

Der kenianische Staat hat seit seiner Unabhängigkeit immer wieder Schwierigkeiten und zeigt auch geringes Interesse daran, seine Souveränität im pastoral besiedelten Norden durchzu­setzen, was sich beispielsweise in den 1960er Jahren während des Shifta-Krieges gegen ethnische Somalis und in dem oftmals gewaltsamen Vorgehen gegen PastoralistInnen zeigte.

…nun soll er durch zahlreiche Bauprojekte gefördert werden

 

Heute versucht die kenianische Regierung im Rahmen breit angelegter Investitionsprogramme, den dünn besiedelten Nor­den infrastrukturell und vor allem touristisch zu fördern. Neue Wildtierreservate entstehen, geteerte Highways, eine Pipeline von der Küste zu den neu entdeckten Ölfeldern im Nordwesten sowie einer der größten Flughäfen Kenias in unserer Projek­tregion Isiolo werden gebaut. Diese Maßnahmen wurden zwar von vielen Menschen lang ersehnt, mit ihnen verschärfen sich jedoch bestehende Konflikte um Ressourcen weiter.

Insbesondere die migrantische und pastorale Lebensweise sowie das Verständnis von Land der im Norden ansässigen Volksgruppen verursachen vermehrt Konflikte. Wo für das westliche Auge weite Landflächen brach liegen, sind dies für PastoralistIn­nen oftmals traditionelle Weidegründe, die nur saisonal beherbergt werden. Vor Inkrafttreten der neuen kenianischen Verfassung 2014 waren diese Gebiete zumeist rangeland – von der Regierung verwaltetes Weideland. Das neue, dezentralisierte System sieht nun­mehr vor, dass ethnische Gruppen kollektive Landtitel registrieren und selbst verwalten können.

Allerdings wissen die meisten Menschen im Norden des Landes nichts von diesen neuen gesetzli­chen Grundlagen. Rechtsbildung bleibt hier aus. Zudem werden sie kaum in die Planungsprozesse der entstehenden Infrastruktur­projekte eingebunden. Insbesondere die für PastoralistInnen wichtigen Regionen sind von den kommenden Investitionen betroffen. So haben beispielsweise Flughafen- und Touris­musprojekte einen erheblichen Wasser- und Energieverbrauch und werden in den fruchtbarsten Regionen angesiedelt. Speku­lanten mit guten Verbindungen sichern sich zudem Grundstü­cke, um vom steigenden Wert zu profitieren. Diese Grundstücke können von den pastoral lebenden Volksgruppen nicht mehr genutzt werden. Aus diesem Grund steigt gerade im bis dato davon eher unberührten Norden die Anzahl der intern Vertrie­benen. Während wir in Europa gerade in Zeiten der „Flüchtlings­krise“ mit den Auswirkungen globaler Ungerechtigkeit und einer zunehmenden transnationalen Migration konfrontiert sind, zeigen sich für den kenianischen Staat ganz andere Herausfor­derungen von Migration: Wie kann ein Staat nach westlichem Vorbild mit seit Jahrhunderten an ihre Umwelt angepassten mobilen Lebensstrategien umgehen? Wie kann eine faire Teil­habe pastoral lebender Menschen aussehen? Bis heute gibt die kenianische Regierung hierauf keine klaren Antworten.

 

 

Mit der diesjährigen Ausgabe unseres Themenmagazins KOMPASS „Migration anders denken“ begegnen wir mit „Perspektiven aus dem Globalen Süden“ den unterschiedlichen Facetten von Migration.

Laut der „Internationalen Organisation für Migration“ macht die Süd-Süd-Migration mit mittlerweile mehr als 92 Millionen MigrantInnen den größten Teil der weltweiten Migration aus. Im KOMPASS #6 werfen 12 Beiträge, die unsere SüdpartnerInnen in Afrika, Südamerika und Asien gesammelt und aufgeschrieben haben, ein neues Licht auf die Thematik.

 

 

15.05.2018

Gepostet in: Der KOMPASS - Das Themenheft des Weltfriedensdienst, Kenia: Gemeinsam für eine gerechte Landverteilung