Von Marianne Gysae-Edkins und Naima Sebe (Veröffentlicht im KOMPASS #6 Migration anders denken)
Die AutorInnen arbeiten bei STEPS, einem Medienprojekt in Kapstadt, das Dokumentarfilme für die Menschen- und Bürgerrechtsarbeit einsetzt.
Im Mai 2008 erschüttert Südafrika eine Welle der Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit) und der brutalen Gewalt gegen Flüchtlinge und EinwanderInnen. Die MitarbeiterInnen von STEPS entschließen sich spontan, zusammen mit der neu gegründeten Initiative Filmmakers against Racism (FAR) die Lage mit der Kamera zu begleiten.
Zwei Tage nach den gewalttätigen Attacken in Kapstadt entschuldigen sich die Gemeindevertreter des Armenviertels Masiphumele öffentlich bei Vertriebenen in dem nahe gelegenen Soetwater Flüchtlingscamp. Sie bitten ausländische Ladenbesitzer, zurückzukehren und ihre Läden wieder aufzubauen. In dem Film dokumentieren wir ihre Rückkehr in das völlig überfüllte Armenviertel.
Die Dreharbeiten gleichen einer Achterbahnfahrt: Zuerst kommen einheimische und ausländische HändlerInnen wieder zusammen, kleine Läden werden wieder instandgesetzt und neu eröffnet. Das normale Leben scheint weiterzugehen. Unsere Hoffnungen werden allerdings schnell enttäuscht:
Einer unserer Protagonisten ist Abdi aus Äthiopien.
Der Händler ist fest entschlossen, sein Geschäft im südafrikanischen Masiphumelele weiter zu betreiben. Um seinen geliebten Laden zu beschützen, schläft er sogar vor Ort. Schon die erste Nacht hier versetzt uns in Panik – als Äthiopischer Migrant befindet sich Abdi in ständiger Gefahr. Ein paar Tage später wird das Geschäft geplündert, ein anderer Ladenbesitzer in der Nachbarschaft wird angeschossen. Mitglieder der Gemeindeverwaltung versuchen sich selbst und uns davon zu überzeugen, dass es sich um kriminelle Mobs handele. Flüchtlinge und EinwanderInnen dagegen glauben, dass die Ausschreitungen fremdenfeindliche Gründe haben. Sie würden als Eindringlinge wahrgenommen, die Einheimischen gönnten ihnen den Erfolg nicht.
Einige Monate nachdem unser Film „Baraka” fertig gestellt wurde, erhalten wir einen Anruf: Am frühen Abend ist Abdi vor seinem Laden ermordet worden…
Seitdem hat die südafrikanische Regierung leider wenig unternommen, um die Situation von Geflüchteten und EinwanderInnen zu verbessern. Fremdenfeindlichkeit ist zum ständigen Wegbegleiter geworden und hat sich so normalisiert, dass darüber nicht einmal mehr viel in den südafrikanischen Medien berichtet wird. Allein besonders brutale fremdenfeindliche Übergriffe machen national sowie international Schlagzeilen. RegierungsvertreterInnen bestehen weiterhin darauf, dass die Vorfälle lediglich einen kriminellen Hintergrund haben.
Gemeinsam mit dem Scalabrini Centre, einer Flüchtlingsorganisation in Kapstadt, setzen wir Dokumentarfilme wie „Baraka“ gezielt als bildungspolitische Werkzeuge gegen Fremdenfeindlichkeit in Schulen und Gemeinden ein. Wir bilden Jugendliche als MultiplikatorInnen aus und organisieren Filmvorführungen in den Armenvierteln. Das Medium Film wird für die betroffenen Menschen zum Sprachrohr. Sie erzählen ihre eigenen Geschichten, brechen das Schweigen und reden offen über Tabus. Dadurch werden sie zu AktivistInnen in ihrer eigenen Sache. In Filmvorführungen mit anschließender Diskussion zum globalen Thema „Migration als Teil der Menschheitsgeschichte“ werden die Filme zu Instrumenten für soziales Lernen. Persönliche Geschichten und Erfahrungen sollen zu einem besseren Verständnis beitragen, warum Menschen ihre Heimat verlassen. Wir wollen versuchen, einheimische und eingewanderte Jugendliche miteinander ins Gespräch zu bringen, um die Furcht vor dem „Fremden” abzubauen. Mit Filmen und öffentlichen Diskussionen senden wir eine deutliche Botschaft gegen Fremdenfeindlichkeit und xenophobe Gewalt.
Sergio Carciotti, Direktor des Scalabrini Institute for Human Mobility in Africa, berichtet über die Gründe xenophober Gewalt in Südafrika
„Unserer Erfahrung nach heißt xenophob eingestellt zu sein noch nicht, dass man losgeht und Ausländer schlägt oder sogar tötet. Es gibt viele Menschen mit fremdenfeindlichen Einstellungen – sie wollen Grenzzäune aufstellen und immer mehr einwandernde MigrantInnen ausweisen. Aber diese Menschen sind nicht prinzipiell gewalttätig. Wie wir 2008 und 2015 gesehen haben, kann Xenophobie aber schnell in Gewalt umschlagen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Ein grundlegendes Problem ist das soziale Elend, dem viele Menschen in Südafrika ausgesetzt sind. Die weite Schere zwischen arm und reich verschärft die Frustration.
In vielen Fällen von xenophober Gewalt richteten sich die Angriffe zunächst nicht gegen AusländerInnen in den Townships. Oftmals richten sich die Proteste gegen hohe Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit, mangelnde soziale Versorgung und staatliche Unfähigkeit. Wenn die Stimmung umschlägt, läuft dann ein Mob durch die Straßen. Vor allem von AusländerInnen geführte Geschäfte werden schnell Zielscheibe ihres Zorns. Warum? Ressentiments gegenüber AusländerInnen, die erfolgreich sind, können eine Rolle spielen. Zudem wissen die RandaliererInnen auch, dass ausländische LadenbesitzerInnen oft kein eigenes Bankkonto besitzen und daher viel Bargeld vor Ort aufbewahren. Sie sind also ein leichtes Ziel. Die Polizei, die solcherlei Fälle oft nicht richtig untersucht, spielt auch eine Rolle.
Das Problem der xenophoben Gewalt in Südafrika können zivilgesellschaftliche Organisationen nicht allein lösen. Gewalt gegen AusländerInnen ist ein strukturelles, intersektionales Problem, das eng mit sozialen Ungleichheiten, vor allem der hohen Arbeitslosigkeit, verbunden ist. Das Engagement der Regierung ist demnach unverzichtbar, um die zugrunde liegenden sozioökonomischen Herausforderungen anzugehen und die Voraussetzungen für mehr Beschäftigung, für die Bereitstellung grundlegender sozialer Dienste und den Zuwachs an Geschäftsbeziehungen innerhalb und zwischen verschiedenen Communities zu schaffen.
In Südafrika hat die Regierung in den vergangenen fünf bis sechs Jahren versucht, gegen xenophobe Gewalt vorzugehen und für das große Thema Migration eine nachhaltige Lösung zu finden. Interessant ist dabei zu beobachten, dass es vermehrt zu Gesprächen zwischen der Europäischen Union und Südafrika kam. Südafrika ist einer der wichtigsten Partner der EU. Diese weiß um die Bedeutung des einflussreichen Landes im Kontinent – deshalb ist ihr daran gelegen, Südafrika als Verbündeten zu gewinnen. Gerade in der Migrationspolitik ist ihr die Zusammenarbeit wichtig.
Aktuell sind zahlreiche afrikanische Länder dabei, eigene Migrationsgesetze auf den Weg zu bringen. Die EU, die UNO, und auch die großen, sogenannten humanitären Organisationen nehmen Einfluss auf die Gesetzgebung. Letztlich stehen diese Organisationen stellvertretend für Europa und die USA – und repräsentieren nicht unbedingt die Stimmen des Südens. Es geht also weiterhin darum, dass der Norden dem Süden vorgibt, was zu tun sei. Ein Professor der University of the Witwatersrand, Johannesburg, sagte einmal, dass es notwendig sei, die Migrationspolitik in Südafrika zu entkolonialisieren. Afrikanische Länder sollten ihre eigenen Migrationsansätze finden, die auf ihrer eigenen Geschichte beruhen, weil Migration stets ein Teil ihrer Gesellschaft gewesen ist.“
Mit der diesjährigen Ausgabe unseres Themenmagazins KOMPASS „Migration anders denken“ begegnen wir mit „Perspektiven aus dem Globalen Süden“ den unterschiedlichen Facetten von Migration.
Laut der „Internationalen Organisation für Migration“ macht die Süd-Süd-Migration mit mittlerweile mehr als 92 Millionen MigrantInnen den größten Teil der weltweiten Migration aus. Im KOMPASS #6 werfen 12 Beiträge, die unsere SüdpartnerInnen in Afrika, Südamerika und Asien gesammelt und aufgeschrieben haben, ein neues Licht auf die Thematik.
Weltfriedensdienst 15.05.2018
Gepostet in: Der KOMPASS - Das Themenheft des Weltfriedensdienst, Südliches Afrika: Stärkung von Menschen- und Bürgerrechten