Bolivien: Prävention und Konflikttransformation

Zu den Herausforderungen, denen Bolivien gegenübersteht, gehören politische Spannungen, soziale und wirtschaftliche Ungleichheit und eine stark patriarchal geprägte Kultur. Konflikte werden oft gewaltsam ausgetragen, Rechte vom Staat nicht ausreichend gesichert, Verfassungsziele wie das Vivir Bien, das gute Leben für Mensch und Natur, nicht konsequent verfolgt. Unsere drei Partnerorganisationen im Süden Boliviens tragen zur gewaltfreien Konflikttransformation, zu einem verbesserten Schutz der Menschenrechte und zu einer Kultur des Friedens bei.

Bolivien: Prävention und Konflikttransformation

Zu den Herausforderungen, denen Bolivien gegenübersteht, gehören politische Spannungen, soziale und wirtschaftliche Ungleichheit und eine stark patriarchal geprägte Kultur. Konflikte werden oft gewaltsam ausgetragen, Rechte vom Staat nicht ausreichend gesichert, Verfassungsziele wie das Vivir Bien, das gute Leben für Mensch und Natur, nicht konsequent verfolgt. Unsere drei Partnerorganisationen im Süden Boliviens tragen zur gewaltfreien Konflikttransformation, zu einem verbesserten Schutz der Menschenrechte und zu einer Kultur des Friedens bei.

Frauen in Bolivien bekleiden mittlerweile 50% aller politisch gewählten Ämter und ihr Zugang zu Bildung, Arbeit und Gesundheitsleistungen verbessert sich seit den letzten zehn Jahren stetig. Trotzdem sind bolivianische Frauen und Mädchen nach wie vor strukturell benachteiligt und werden in hohem Maße Opfer verschiedenster Formen gender-spezifischer Gewalt. 2018 wurden 128 Frauen von ihrem Partner, Ex-Partner oder einem Familienangehörigen aus frauenfeindlichen Motiven ermordet; Bolivien hat somit eine der höchsten Femizidraten Lateinamerikas. Frauenrechte zu stärken ist daher ein zentraler Aspekt unserer Friedensarbeit in Bolivien. Das Centro Juana Azurduy (CJA) ist eine Nichtregierungsorganisation in Sucre, die sich bereits seit 30 Jahren genau diesem Ziel widmet, indem sie gewaltbetroffene Frauen juristisch und psychologisch unterstützt, Basisorganisationen von Frauen in ihrer Arbeit stärkt und begleitet und über ihren Radiosender „Radio Encuentro“ Programme ausstrahlt, die Frauen und Mädchen über ihre Rechte aufklären.

 

Workshop zur Transformation von Konflikten.

In Bolivien herrscht nach wie vor eine stark polarisierte Zuschreibung der Geschlechterrollen, die Frauen im privaten und öffentlichen Raum eine untergeordnete Stellung zuweist und verschiedene Formen von Gewalt gegen Frauen naturalisiert und rechtfertigt. „Diesen Sozialisationsprozess zu durchbrechen, Frauen in ihren Fähigkeiten zu stärken, sich gesellschaftspolitisch zu organisieren und an demokratischen Prozessen zu beteiligen – das sind die erklärten Ziele der „Escuela de Formación Política“ (Schule für politische Bildung) des CJA, in dessen Rahmen jedes Jahr circa 50 Frauen von zivilgesellschaftlichen Basisorganisationen ausgebildet werden,“ erklärt Gretel Lambertin, Leiterin der Lobby- und Advocacyarbeit des CJA. Die Teilnehmerinnen stammen sowohl aus dem urbanen Umfeld der Gemeinde Sucre als auch aus dem ländlichen Raum des gesamten Departements Chuquisaca. In einer mehrmonatigen Ausbildung lernen sie Gender-Rollen der patriarchalen bolivianischen Gesellschaft zu dekonstruieren und stärken dabei ihr Selbstbewusstsein und ihre Kommunikationsfähigkeiten. Sie eignen sich zudem Wissen über gesellschaftspolitische Prozesse und die bolivianische Geschichte an und lernen mit Konflikten konstruktiv und gewaltfrei umzugehen. Gerade letzteres ist im bolivianischen Kontext sehr wichtig, da gesellschaftspolitische Konflikte schnell eskalieren und häufig gewaltsam ausgetragen werden. Genau hier setzt die Kooperation mit dem Weltfriedensdienst an: Seit dem vergangenen Jahr ist der konstruktive Umgang mit Konflikten durch gewaltfreie Kommunikation, Verhandlungstechniken und Dialogprozesse fester Bestandteil der „Escuela de Formación Política“.

Frauenrechte stärken

Um auch zu Veränderungsprozessen auf politisch-struktureller Ebene beizutragen, unterstützt das Projekt den Austausch zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen und politischen Autoritäten auf lokaler und regionaler Ebene. Das Bewusstsein für die Wichtigkeit solcher Prozesse ist auf Seiten der Abgeordneten jedoch zunächst gering, sodass es viel Überzeugungsarbeit kostet, bis die politischen Vertreter*innen ihre Mitwirkung zusichern.

Auch Männersache: Frauenrechte stärken.

Auch in Bolivien hat die mediale Berichterstattung einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Wahrnehmung von gesellschaftlichen Konflikten und geschlechtsspezifischer Gewalt. „Frauenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Beiträgen der Mainstream-Medien konstruktive Alternativen entgegenzusetzen, ist ebenso Ziel des Radio Encuentro wie die kritische Nutzung sozialer Medien unter Jugendlichen zu fördern“, erklärt Ana Lilian Ortega, Journalistin und Chefredakteurin des Radios. Mit der Unterstützung des Weltfriedensdienst haben sich im vergangenen Jahr fünf Journalist*innen im konfliktsensiblen Journalismus fortgebildet und eine neue Radiosendung mit dem Titel „Sin Pretextos“ (Ohne Ausflüchte) ins Leben gerufen, die alle zwei Wochen einen Konflikt behandelt, der sich in Sucre ereignet hat. Die betroffenen Konfliktparteien werden dazu in die Live-Sendung eingeladen und erörtern gemeinsam mit den Moderator*innen die Ursachen und Folgen des Konfliktes. Sie versuchen zudem die unausgesprochenen Interessen der Akteur*innen zu verstehen und nach Lösungen zu suchen. Während die Konfliktparteien es vor allem schätzen, sich in einem konstruktiven Raum Gehör verschaffen zu können, nehmen die Zuhörer*innen „Sin Pretextos“ als ein Programm wahr, durch das sie objektiv und umfassend über Konflikte in ihrer Stadt informiert werden.

Die Autoren: Britta Wiemers ist Konfliktwissenschaftlerin und arbeitet als Fachkraft des Weltfriedensdienst e.V. beim Centro Juana Azurduy im Projekt „Frauen setzen auf eine Kultur des Friedens“. Henry Cervantes ist Psychologe und arbeitet im Centro Juana Azurduy in einem Projekt zur Resozialisierung von männlichen Gewalttätern.

25.09.2019

Gepostet in: Aktuelles, Bolivien: Prävention und Konflikttransformation

Bolivien: Prävention und Konflikttransformation

Zu den Herausforderungen, denen Bolivien gegenübersteht, gehören politische Spannungen, soziale und wirtschaftliche Ungleichheit und eine stark patriarchal geprägte Kultur. Konflikte werden oft gewaltsam ausgetragen, Rechte vom Staat nicht ausreichend gesichert, Verfassungsziele wie das Vivir Bien, das gute Leben für Mensch und Natur, nicht konsequent verfolgt. Unsere drei Partnerorganisationen im Süden Boliviens tragen zur gewaltfreien Konflikttransformation, zu einem verbesserten Schutz der Menschenrechte und zu einer Kultur des Friedens bei.

Indigene bolivianische Frauen im Workshop zu Konflikttransformation und Friedensarbeit in den Anden.

Indigene bolivianische Frauen im Workshop zu Konflikttransformation und Friedensarbeit in den Anden

Gewaltfreie Konfliktbearbeitung und Prävention

Die Friedenskultur (Cultura de Paz) im Departement Potosí stärken, das ist Ziel der Zusammenarbeit des Weltfriedensdienstes mit der lokalen Partnerorganisation ISALP (Investigación Social y Asesoramiento Legal Potosí). Durch gewaltfreie Konfliktbearbeitung unter Einbezug der indigenen Kultur wird zu einer friedlicheren Gesellschaft und zum Verfassungsziel des Vivir Bien (dem Guten Leben) beigetragen.

Seit der Jahrtausendwende befindet sich Bolivien in einem tiefgreifenden sozialen und politischen Wandel, verbunden mit Jahren der politischen Instabilität. Erst mit der neuen „Verfassung des plurinationalen Staates von Bolivien“ entspannte sich die Lage und es konnten zahlreiche entwicklungspolitische Erfolge erzielt werden. Viele strukturelle Probleme bestehen dennoch weiter fort. Fehlende Kompromissbereitschaft machtvoller Akteure, fehlender gesellschaftlicher Konsens über verschiedenste Grundprinzipien, aber auch die Dominanz von Männern und konfliktfördernden Rollenbildern in der politischen Kultur führen immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Ressourcen wie Wasser und Boden als Konfliktgegenstände

Im Department Potosí, dem ärmsten Department Boliviens, spiegelt sich die Problemlage der nationalen Ebene. Die vielfältigen Konflikte im Department zwischen indigenen Gemeinschaften, Ortsansässigen und Remigranten, Bauern und Viehhaltern, Genossenschaften, Staatsunternehmen und Behörden werden häufig gewaltförmig austragen. Verbale und physische Aggressionen sowie Blockaden, Aufmärsche, Beschlagnahmungen, Besetzungen und Zerstörungen kommen regelmäßig vor. Konfliktgegenstände sind dabei überwiegend Ressourcen wie Wasser, Boden oder Unternehmenseinnahmen.

Seit 2015 arbeitet der Weltfriedensdienst e.V. gemeinsam mit der lokalen Partnerorganisation ISALP (Investigación Social y Asesoramiento Legal Potosí) an der nachhaltigen und gewaltfreien Konflikttransformation im Departement Potosí. Durch die Einführung von Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung nicht nur in die Arbeit der Partnerorganisation, sondern auch bei von Konflikten betroffenen indigene Gemeinschaften und mit Konflikten befassten Institutionen sollen vorhandene, meist autoritäre und nicht nachhaltige, Konfliktlösungsansätze ersetzt werden. Dabei wird versucht, tradierte indigene Gebräuche, die in der andinen Kosmologie verwurzelt sind, wiederzubeleben und mit den Ansätzen der zivilen Konflikttransformation zu verbinden.

Die Stärkung der Rolle der Frauen

Mit der Wiederbelebung indigener Kulturformen geht die Stärkung der Rolle der Frauen einher. Die andine Kosmologie sieht das Gleichgewicht, bzw. die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in allen Bereichen des Lebens vor. Harmonie und Gleichgewicht zwischen den Menschen und mit der Natur sind hier gleichbedeutend mit Frieden und wesentliche Bestandteile des Vivir Bien, des Guten Lebens. Die Stärkung der Friedenskultur im Departement Potosí wird entsprechend durch das Ziel des K’acha Kausakunapaq geleitet, Quechua für: „Damit wir alle in Harmonie leben“ (Para que vivamos todos en armonía).

16.05.2018

Gepostet in: Bolivien: Prävention und Konflikttransformation

Bolivien: Prävention und Konflikttransformation

Zu den Herausforderungen, denen Bolivien gegenübersteht, gehören politische Spannungen, soziale und wirtschaftliche Ungleichheit und eine stark patriarchal geprägte Kultur. Konflikte werden oft gewaltsam ausgetragen, Rechte vom Staat nicht ausreichend gesichert, Verfassungsziele wie das Vivir Bien, das gute Leben für Mensch und Natur, nicht konsequent verfolgt. Unsere drei Partnerorganisationen im Süden Boliviens tragen zur gewaltfreien Konflikttransformation, zu einem verbesserten Schutz der Menschenrechte und zu einer Kultur des Friedens bei.

Karte und Infokasten Bolivien

Von Heiko Flink (Veröffentlicht im KOMPASS #6 Migration anders denken)

Heiko Flink ist Kooperant des Weltfriedensdienst im Projekt K’acha Kausakunapaq (Quechua für: „Damit wir alle in Harmonie leben“) in Bolivien. Das Projekt setzt sich für eine stärkere Friedenskultur im Departement Potosí ein. Im KOMPASS berichtet er, welche Folgen die Binnenmigration in Bolivien für das Land und die Menschen dort hat.

Bolivien liegt im Herzen des südamerikanischen Konti­nents, die Mehrheit seiner rund 11 Millionen EinwohnerInnen hat einen Migrationshintergrund. Lange vor der Kolonisa­tion siedelten sich verschiedene Kulturen auf dem heutigen Staatsgebiet an, wie auch das Volk der Tiawanaku (Ayma­ra-Kultur). Es gründete zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert Cusco, die Hauptstadt des Inkareiches. Mit der Kolonisation kamen ab dem 16. Jahrhundert SpanierInnen und afrikanische SklavInnen in das Land. Zur Zeit der faschistischen Regime in Europa suchten Juden und Dissidenten aus ganz Europa auch in Bolivien Zuflucht. Später schlossen sich auch viele faschistische Schergen an. Auch aus Asien, Nordafrika, dem Balkan sowie den Nachbarländern suchen MigrantInnen neue Chancen in Bolivien.

Auf der Suche nach Arbeit und sozialem Aufstieg

Seit der Wiedereinführung der Demokratie 1982 lassen sich in Bolivien zwei wesentliche Migrationsbewegungen identi­fizieren: diejenige der städtischen Mittelklasse, die ins Aus­land führt, hauptsächlich nach Argentinien (273.000), Spanien (137.000) und in die USA (133.400). Wesentlich stärker ist die zweite Bewegung, die Binnenmigration der indigenen Bevölke­rungsteile (hauptsächlich Aymara und Quechua) aus den ärms­ten Departements Potosí und Chuquisaca in die wohlhabenden Departements Santa Cruz und Cochabamba bzw. in deren gleichnamige Hauptstädte. So wurde aus der kleinen, mitten im Amazonas-Urwald gelegenen Provinzhauptstadt Santa Cruz innerhalb weniger Jahrzehnte die bevölkerungsreichste und wirtschaftlich wichtigste Metropole des Landes. (mehr …)

15.05.2018

Gepostet in: Bolivien: Prävention und Konflikttransformation, Der KOMPASS - Das Themenheft des Weltfriedensdienst