Simon Fischer ist Koordinator und Fachkraft des Weltfriedensdienstes in Kenia, er lebt mit seiner Frau und seiner zweijährigen Tochter in Nanyuki im zentralen kenianischen Hochland. Für die Projekte des Weltfriedensdienstes reist er regelmäßig in die nördlichen, sehr trockenen Regionen Kenias, die von der Klimakrise besonders betroffen sind.
Du bist schon viele Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Was hat dich daran gereizt, als Fachkraft für den Weltfriedensdienst nach Kenia zu gehen?
Hier in Kenia kann man sehr gut sehen, was passiert, wenn an einem Ort innerhalb kürzester Zeit die Durchschnittstemperatur um zwei Grad ansteigt. Der Wassermangel hier ist extrem – seit zwei Jahren gibt es keine richtige Regenzeit mehr. Die Not der Menschen führt teils zu Konflikten zwischen verschiedenen Volksgruppen, sie stehlen einander Vieh und es gibt bewaffnete Angriffe. Gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen versuchen wir als Weltfriedensdienst in diesen Konflikten zu vermitteln oder sie zu verhindern. Die Arbeit hier ist ganz nah an den Menschen und macht Sinn.
Wie sieht deine Arbeit als Friedensfachkraft konkret aus?
Gemeinsam mit der Partnerorganisation Isiolo Peace Link (IPL) vermitteln wir etwa durch Mediation zwischen den Konfliktparteien, um zu verhindern, dass Konflikte eskalieren. Gleichzeitig verfolgen wir einen langfristigen Ansatz, um Verständnis und Frieden zwischen den Gruppen zu fördern. Unsere Partnerorganisation Children Peace Initiative (CPI) organisiert Peace-Camps, an denen Kinder verschiedener Volksgruppen teilnehmen. Es gibt Spiele, Gesprächsrunden und Aktivitäten, bei denen die Kinder merken, dass sie sich eigentlich ganz schön ähnlich sind. Es entstehen Freundschaften und in weiteren Schritten werden auch die Familien der Kinder einbezogen, die sich dann annähern. CPI arbeitet so seit 2012; in den Regionen, in denen die Organisation bislang tätig war, ist ein langfristiger Frieden entstanden. Es gibt dort kaum noch bewaffnete Angriffe und Viehdiebstähle. Es ist ein wirklich spürbar nachhaltiges, sinnvolles Projekt.
Welche gemeinsamen Erlebnisse mit den Partnerorganisationen sind dir besonders in Erinnerung geblieben?
Ein ganz tolles Event, an das ich bestimmt noch lange zurückdenken werde, war die Camel Caravan. Unsere Partnerorganisationen IMPACT und IPL organisierten gemeinsam eine Karawane entlang des Flusses Ewaso Ng‘iro, dem größten Fluss hier in der Gegend, der – wie viele Gewässer in der Region – auszutrocknen droht. Mit der Karawane wurde auf das Thema aufmerksam gemacht und Aufklärungsarbeit geleistet – auch bei den Menschen vor Ort. Denn in manchen Regionen pflanzen Anwohner*innen beispielsweise Eukalyptusbäume direkt an den Ufern. Das entzieht dem Fluss enorm viel Wasser, sodass für die Menschen am unteren Ende des Flusses keines mehr übrigbleibt. Diese Informationen sind zum Teil einfach nicht bekannt. Hier schafft die Karawane eine große Aufmerksamkeit und sorgt für Austausch und Sensibilität. Fünf Tage lang mit den Kamelen zu Fuß unterwegs zu sein und ganz viele unterschiedliche Menschen zu treffen – das war ein beeindruckendes Erlebnis.
Welche Erlebnisse in Kenia sind für dich privat besonders eindrucksvoll?
Für mich als passioniertem Läufer ist es faszinierend, was für unfassbar gute Läufer es hier in Kenia gibt. Als ich gerade erst eine Woche hier war, habe ich zwei junge Massai gefragt, ob sie nicht Lust hätten, mir ein wenig die Gegend zu zeigen und mit mir zu laufen. Daraus wurden spontan 30 Kilometer – einer von beiden ist in Badelatschen gelaufen, das Ganze auf 2.500 Metern Höhe. Und obwohl beide in ihrem Alltag nicht joggen, waren sie nach den 30 Kilometern noch total frisch. Das hat wirklich viel Spaß gemacht und meine Lust am Laufen weiter befeuert.
Jetzt hast du noch ein weiteres Jahr als Friedensfachkraft in Kenia vor dir. Was ist dir in diesem Jahr besonders wichtig?
Ein Herzensprojekt, auf dessen Umsetzung ich mich sehr freue, ist ein Friedens-Ultra-Marathon, den wir gerade vorbereiten. Teilnehmer*innen verschiedener Volksgruppen werden dabei zu sechst als Team gemeinsam laufen.
Es geht also nicht darum, wer als Erster über die Ziellinie läuft, sondern wer den Lauf gemeinsam als Team schafft. Die Strecke geht über fast 100 Kilometer an vier Tagen – das entspricht mehr als einem Halbmarathon pro Tag. Meine persönliche Erfahrung ist: Wenn man eine lange Strecke mit jemandem gemeinsam zurücklegt, dann versteht man den anderen, weil man sich austauscht. Und man entwickelt Verständnis für den anderen. So hoffen wir, dass zwischen den Teilnehmer*innen der verschiedenen Ethnien eine Verbindung entsteht. Es gibt hier in Ostafrika ein Sprichwort: Wenn du schnell gehen willst, geh alleine. Wenn du weit gehen willst, geh mit anderen.
Und das ist genau die Idee dahinter: dass wir auf diese Weise Friedensbotschafter*innen haben, die ihren Communities zeigen: Den anderen geht es genauso wie uns und wenn wir zusammenarbeiten, können wir im Prinzip alles schaffen.
Interview: Alexandra Leininger