Adalah und Weltfriedensdienst
Im israelischen Haifa setzt sich das juristische Zentrum Adalah, unterstützt vom Weltfriedensdienst, dafür ein, die Menschenrechte in Israel zu verteidigen, insbesondere die der palästinensischen Bürgerinnen und Bürger Israels, die sich schwerwiegender Diskriminierung gegenübersehen und nicht die gleichen Rechte genießen wie jüdische Israelis.
Der brutale Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 und der folgende Krieg in Gaza haben das Land tief traumatisiert. Seither unterdrücken die israelischen Behörden die Rechte der palästinensischen Bürgerinnen und Bürger noch mehr und besonders stark, sagt Adalah-Mitgründerin und Direktorin für internationale Advocacy-Arbeit, Rina Rosenberg. Auch manche internationalen Geldgeber haben ihre Unterstützung für palästinensische Organisationen der Zivilgesellschaft gestoppt. Im Interview berichtet Rosenberg, was das für ihre Arbeit bedeutet.
„Adalah“ ist das arabische Wort für Gerechtigkeit. Der volle Name der Organisation mit Sitz im israelischen Haifa ist: Adalah – das Legale Zentrum für die Rechte Arabischer Minderheiten in Israel. Rina Rosenberg, eine Rechtsanwältin aus den USA, hat Adalah 1996 gemeinsam mit ihrem Mann Dr. Hassan Jabareen, einem palästinensischen Bürger Israels, und mehreren anderen palästinensischen Anwält_innen und Aktivist_innen gegründet. Ihr Ziel: Alle Bürgerinnen und Bürger Israels sollen die gleichen Rechte genießen.
Fast 30 Jahre ist das jetzt her. „Es war eine hoffnungsvolle Zeit“, erinnert sich Rosenberg. „Die Berliner Mauer war gefallen, Südafrika hatte die Apartheid beendet. Viele Länder entwarfen neue demokratische Verfassungen. 1993 war das erste Oslo-Friedensabkommen zwischen Israel und der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO unterzeichnet worden. Ein palästinensischer Staat schien greifbar nah. Israel hatte den internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert und ebenso den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.“ Bis heute sind die beiden Konventionen für die Arbeit von Adalah eine wichtige Basis.
Der Weltfriedensdienst arbeitet seit 2014 mit Adalah und weiteren Menschenrechtsgruppen in Israel und dem besetzten palästinensischen Territorium zusammen. Er entsendet Fachkräfte für Medienarbeit und internationales Recht, welche die Partnerorganisationen bei der Recherche und Öffentlichkeitsarbeit unterstützen, Infoveranstaltungen und Seminare organisieren. Adalah und der Weltfriedensdienst erachten die Einhaltung des internationalen Rechts und der Menschenrechte als notwendige Bedingungen für einen gerechten Frieden in der Region. Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und juristisch anzufechten sowie die Öffentlichkeit hierüber zu informieren, sind zentrale Bestandteile der Kooperation.
Verteidigung der Rechte palästinensischer Bürger_innen Israels
Die palästinensischen Bürgerinnen und Bürger Israels machen heute ein Fünftel der Bevölkerung Israels aus. Adalah war das erste juristische Zentrum, das sich für ihre Rechte engagierte. Seine Anwältinnen und Anwälte verteidigen neben den palästinensischen Bürger_innen in Israel auch die Rechte der palästinensischen Menschen in Ostjerusalem, im besetzten Gazastreifen und Westjordanland und ebenso der syrischen Drusen im Golan.
In den ersten Fällen reichte Adalah vor dem Obersten Gerichtshof Israels Petitionen ein, um die kulturellen und religiösen Rechte für die palästinensische Bevölkerung in Israel einzufordern, auf die sie gemäß internationaler Verträge ein Anrecht haben. Also beispielsweise das Recht auf freie Religionsausübung, das Recht, die eigenen Traditionen zu pflegen, sich künstlerisch auszudrücken, auf Zugang zu Bildung und Wissenschaft und das Recht, die eigene Sprache zu sprechen: „Wir haben etwa verlangt, dass die Schilder an den Schnellstraßen in Israel nicht nur Aufschriften auf Hebräisch und Englisch tragen sollen, sondern auch auf Arabisch, denn Arabisch war damals eine der offiziellen Sprachen Israels“, erinnert sich Rosenberg. „Wenn man heute im Land Straßenschilder auf Arabisch sieht, dann ist dies sehr wahrscheinlich auf unsere Petition zurückzuführen.“
Daneben fordere Adalah auch wirtschaftliche und soziale Rechte der palästinensischen Bürger_innen Israels ein – etwa das Recht auf Bildung, bezahlbare medizinische Versorgung, andere Sozialleistungen und auf Inklusion. Adalah vertritt auch die arabische politische Führung in Israel juristisch. „Beispielsweise, wenn Abgeordnete der Knesset in ihrer parlamentarischen Arbeit behindert werden, wenn die Knesset sie suspendieren oder ausschließen möchte oder wenn der Staat im Zusammenhang mit Straftaten wegen politischer Äußerungen Strafverfahren gegen sie einleitet“, sagt Rosenberg.

Dabei betreibt Adalah vor allem strategische Prozessführung: Die angestrengten Klagen sollen möglichst auf systemischer Ebene Veränderungen bewirken. „Wenn wir denken, dass das israelische Recht, das Völkerrecht und das vergleichende Verfassungsrecht uns eine stabile Grundlage geben, wenn wir eine gute Chance sehen, vor Gericht juristisch und politisch zu gewinnen, und wenn wir sehen, dass der Fall das Leben vieler Menschen positiv beeinflussen könnte – dann übernehmen wir ihn“, sagt Rosenberg. „Weil wir wissen, dass wir damit möglicherweise eine große Wirkung erzielen können.“
Verschärfte Bedingungen nach dem 7. Oktober 2023
Mit den Angriffen der Hamas am 7. Oktober 2023 auf mehrere Gemeinden, Militärstützpunkte und ein Festival im Süden des Landes hat sich die Menschenrechtslage für die Palästinenserinnen und Palästinenser im Land enorm verschlechtert. Mehr als 240 Menschen wurden bei den Angriffen nach Gaza entführt, laut israelischen Angaben über 1.200 während des Überfalls getötet1). „Seither arbeiten wir im Notfallmodus“, sagt Rosenberg.
Ende Oktober 2023 begann Israel eine Bodenoffensive im Gazastreifen. Ein Jahr später waren laut UN-Angaben mehr als 42.000 Menschen durch den Krieg getötet worden, etwa ein Drittel davon Kinder, und mehr als 100.000 Menschen verletzt2). UN-Schätzungen zufolge befanden sich zudem 1,9 Millionen Menschen auf der Flucht. Dies entspricht etwa 90 Prozent der Bevölkerung Gazas – viele von ihnen wurden mehrfach vertrieben. Wie viele Menschen durch den Krieg in Gaza tatsächlich bislang ums Leben kamen, lässt sich angesichts der anhaltenden Kämpfe nur schwer beziffern.
Rosenberg sagt, in Israel selbst habe sich „die Verfolgung der arabischen Bevölkerung drastisch verschärft“. Sie gibt ein Beispiel: „Zwei Wochen nach Kriegsbeginn hat der Polizeichef ein landesweites Demonstrationsverbot verhängt. Es betrifft ausschließlich die palästinensische Bevölkerung, denn jüdische Israelis protestieren ständig und oft auch in großer Zahl. Wir sind juristisch in drei Fällen gegen das Verbot vorgegangen – und wir haben alle drei vor dem Obersten Gericht verloren. Selbst eine stille Mahnwache, an der höchstens 50 Personen teilnehmen wollten, wurde nicht erlaubt. Auch das High Follow-Up Committee für arabische Bürger_innen Israels, ein Gremium, in dem sich hochrangige palästinensische Politikerinnen und Politiker zusammengeschlossen haben, durfte keine Demonstration organisieren.“ Die Diskriminierung sei offensichtlich.
Nach dem 7. Oktober 2023 habe die Polizei viele palästinensische Bürger_innen Israels und Einwohner_innen Ostjerusalems verhaftet, weil sie auf ihren Social-Media-Konten Kommentare veröffentlichten, welche die israelischen Behörden als Unterstützung für die Hamas werteten. Zum Beispiel schrieb eine Studentin und palästinensische Bürgerin Israels, die am 7. Oktober das Foto einer Shakshuka gepostet hatte, einer speziellen Tomaten-Eierspeise: „Heute ist ein Tag des Sieges! Sie meinte damit, dass es ihr zum ersten Mal gelungen sei, eine Shakshuka zuzubereiten, aber die Behörden glaubten ihr nicht“, sagt Rosenberg. „Sie wurde über Nacht im Gefängnis festgehalten, und ihre Hochschule hat sie suspendiert. Dabei hatte ihr Post rein gar nichts mit dem Terrorüberfall der Hamas zu tun. Jetzt streiten wir uns vor Gericht und vor einem Disziplinargericht der Universität um eine Shakshuka. Das ist doch absurd.“ Israels Universitäten und Hochschulen sanktionierten andere Studierende für Posts, die einen Mann in Gaza inmitten von Trümmern zeigten, darüber ein gebrochenes Herz. Auch für Koranverse oder für ein Foto, das den Durchbruch der Hamas durch den Schutzzaun am 7. Oktober zeigt.
„Palästinenser_innen, die solche Dinge posten, wurden in Israel verhaftet und nach Anti-Terror-Gesetzen juristisch verfolgt“, sagt Rosenberg. „Die Staatsanwaltschaft hat jüdische Israelis sehr selten wegen Aufwiegelung strafrechtlich verfolgt, und wenn sie es tut, wird das reguläre Strafrecht auf sie angewandt. Wohlgemerkt, die Verhaftung der Palästinenser_innen in diesen Fällen hat nichts mit gewalttätigen Akten zu tun, sondern mit dem Grundrecht der freien Rede. Dutzende palästinensische Studierende wurden von ihren Hochschulen suspendiert, weil sie sich zum Krieg in Gaza äußerten. Das kann die Zukunft der jungen Leute völlig zerstören.“ Seit dem Beginn des Kriegs hat Adalah fast 100 Studierende in Hochschul-Disziplinarverfahren vertreten.

Einschränkungen der Arbeit palästinensischer Organisationen
Als Israels Regierung 2021 sechs palästinensische Nichtregierungsorganisationen zu terroristischen Vereinigungen erklärte, vertrat Adalah auch sie. „Wir waren Teil eines größeren Verteidigungsteams“, sagt Rosenberg. „Es sind die prominentesten palästinensischen Menschenrechtsorganisationen in den besetzten Gebieten; Gruppen, die sich für die Rechte von Kindern, von Frauen, von Gefangenen einsetzten. Der damalige Verteidigungsminister Benny Gantz unterstellte ihnen Verbindungen zur Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), aber er legte für seine Anschuldigung keine Beweise vor. Wir gingen vor der israelischen Militärgerichtsbarkeit juristisch dagegen vor. Wir haben verloren.“
Die palästinensischen Organisationen entschieden damals, die Entscheidung des Militärs nicht vor zivilen Gerichten anzufechten, erinnert sich Rosenberg. Das hat aktuelle Auswirkungen: Nach dem 7. Oktober 2023 strichen ihnen einige internationale Geldgeber die Finanzierung, unter ihnen auch Deutschland, während andere vorübergehend Gelder auf Eis legten oder Überprüfungen durchführten. Wegen der durch die deutsche Bundesregierung gestrichenen Fördergelder musste auch der Weltfriedensdienst seine Kooperation mit zwei der sechs Organisationen vorerst beenden: Al-Haq und Defense for Children International – Palestine (DCIP), das über Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Jugendlichen berichtet.
Eine BMZ-Sprecherin erklärt dazu, die Bundesregierung habe bereits „nach der Designierung der sechs von Israel als Terrororganisationen gelisteten Nichtregierungsorganisationen durch Israel im Oktober 2021 – also schon vor dem 7. Oktober 2023 – entschieden, bis auf Weiteres keine neuen Projekte in Zusammenarbeit mit diesen NRO mehr zu fördern“. Vom BMZ geförderte zivilgesellschaftliche Träger hätten nur mit zwei der sechs Organisationen zusammengearbeitet. „Diese Kooperationen sind mittlerweile ausgelaufen.“ Andere Kooperationen laufen laut BMZ weiter. Aufrufe zur Gewalt und die Leugnung des Existenzrechts Israels seien aber für die Bundesregierung Ausschlusskriterien für eine Zusammenarbeit. Rosenberg hingegen sagt, es gebe bis heute keine Belege für die Anschuldigungen: „Israels Regierung hat den USA, der EU, Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten sogenannte Beweisdossiers zur Verfügung gestellt. Aber mir sind keine Beweise bekannt, die die Anschuldigungen stützen würden, weder für Betrug, Bestechung oder Korruption, noch dafür, dass diese Menschenrechtsgruppen Organisationen unterstützen würden, die Israel als Terrorgruppen ansieht.“ Auch das UN-Menschenrechtsbüro in den palästinensischen Autonomiegebieten nannte die Vorwürfe Ende Mai 2024 „unbewiesen“. Die negativen Folgen seien „massiv, unter anderem verringerte Unterstützung durch Geber, Verlust von Mitarbeitenden, Angst vor der Arbeit an wichtigen Menschenrechtsfragen und die Arbeitsmoral der Mitarbeitenden.“
Rosenberg sagt, die Gelder zu streichen, sei gefährlich: „Diese Gruppen berichten über Menschenrechtsverletzungen, die von Israel, der palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas begangen werden. Sie arbeiten unabhängig. Wenn man ihnen jetzt die Unterstützung entzieht, was ist dann die Botschaft?“, fragt sie. Ihre Antwort: „Die Botschaft ist, dass auch der zivilgesellschaftliche Kampf um die Menschenrechte nicht legitim ist. Dass Besatzung, die Blockade und massive Menschenrechtsverletzungen ungehindert weitergehen können. Diese Botschaft auszusenden, ist ein schrecklicher Fehler.“
1) United Nations Human Rights Office of the High Commissioner (7. Oktober 2024): 7 October: UN experts call for end of violence and accountability after year of human loss and suffering and blatant disregard for international law
2) United Nation Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (22. Oktober 2024): Reported impact snapshot | Gaza Strip
Diesen Text von Alexandra Endres haben wir von der Website des Verbands Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. (VENRO) aus der Publikation IMAGINE: Wie Nichtregierungsorganisationen zu einer friedlichen Welt beitragen (S. 50-54) übernommen. Gesamte Publikation hier lesen