Im September 2023 haben wir den 35-jährigen Menschenrechtsverteidiger M. in Ramallah zum Zugang zu Wasser in Palästina/Israel befragt. Seine Antwort überrascht. Aus Sicherheitsgründen bleibt unser Kollege anonym.
Im Westjordanland herrscht seit Jahrzehnten Wasserknappheit. Davon ist überwiegend die palästinensische Bevölkerung betroffen. Was hast du auf deinen Reisen durch das Land beobachtet?
Das Westjordanland ist vor allem ein karges Hügelland. Palästinensische Dörfer erkennt man schon von weitem an den Wassertanks auf den Dächern. Ganz im Unterschied zu den illegalen israelischen Siedlungen in der Nachbarschaft, die immer üppig grün und eben ohne solche Tanks auskommen.
Wie kann das sein?
Die Wasserversorgung des Westjordanlands und die dazugehörige Infrastruktur werden überwiegend vom israelischen Staat kontrolliert, der als Besatzungsmacht zur Versorgung der Bewohner*innen verpflichtet ist. Obwohl die im Westjordanland vorhandenen Wasserressourcen für alle Bewohner*innen ausreichen würden, werden die palästinensischen Gemeinden besonders in den sehr heißen Sommermonaten nur unzureichend mit Wasser versorgt. Wenn die Gemeinde einen Wasseranschluss hat, führt die Wasserleitung des Hauses über den Tank auf dem Dach in die Wohnung. Kommt kein Wasser mehr über die Leitungen, ist auch der Tank schnell leer und die Familie muss einen Lkw bestellen, der den Tank für teures Geld auffüllt.
Das wirkt sich auf das tägliche Leben, auf Hygiene und Gesundheit der Menschen aus, oder?
Ja. In den besetzten palästinensischen Gebieten nutzt fast jeder fünfte Haushalt Wasserquellen, die mit Kolibakterien kontaminiert sind. Im Gazastreifen haben sogar nur vier Prozent der Haushalte Zugang zu sicherem Wasser! Auch Familien, die auf Landwirtschaft und Viehzucht als Einkommensquelle angewiesen sind, leiden unter der künstlich herbeigeführten Wasserknappheit.
Und das in einer Gegend, die unter Wassermangel leidet.
So kann man das nicht sagen. In Ramallah fällt im Jahresdurchschnitt mehr Regen als in London! Dieses Regenwasser sickert durch den Boden bis in die grundwasserführenden Schichten. Zugang zu diesem Grundwasser haben aber vor allem die Israelis. Eine Palästinenserin hat durchschnittlich nur zu einem Fünftel des Wassers Zugang, das einer israelischen Siedlerin pro Tag im Westjordanland zur Verfügung steht.
Damit stehen besagter Palästinenserin 30 Liter Wasser weniger zur Verfügung als die von der WHO empfohlene Mindestmenge von 100 Litern pro Tag. In Deutschland liegt der durchschnittliche Verbrauch bei gut 126 Litern pro Person.
Was bedeutet das konkret für die Menschen in den palästinensischen Dörfern?
Wenn du beispielsweise als Palästinenser*in in den besetzten Gebieten lebst, musst du die Erlaubnis der Besatzungsmacht Israel einholen, um einen Brunnen zu bohren oder einen alten zu reparieren. Selbst für Regensammelzisternen brauchst du in bestimmten Gebieten eine Genehmigung. Diese Erlaubnis wird jedoch regelmäßig verweigert. Wenn du trotzdem einen Brunnen baust, wird er in der Regel vom israelischen Militär zerstört. Für israelische Siedler*innen wird dagegen neue Wasserinfrastruktur gebaut. Dies ermöglicht gut bewässertes Ackerland, Schwimmbäder und Golfplätze. Die Hauptlast dieses Wasserkonflikts tragen also die Ärmsten und die Schwächsten. Es handelt sich ganz klar nicht um einen Wasserkonflikt. Hier wird jedoch Wasser als Mittel der Kontrolle eingesetzt. Denn wenn Menschen der Zugang zu Wasser verwehrt wird, führt das zu ihrer Vertreibung. Gleichzeitig ist dies nur eine von vielen Methoden, die der israelische Staat, oft in Kooperation mit Siedler*innen, nutzt, um Palästinenser*innen zu vertreiben und Land zu übernehmen. Mit der neuen israelischen Regierung hat sich die Situation weiter verschlimmert. Allein 2023 haben Palästinenser*innen bereits vier kleine Dörfer wegen diskriminierender Praktiken und Siedlergewalt verlassen. In Masafar Yatta (südlich von Hebron) droht bis zu 1.000 Menschen die Zwangsumsiedlung.
Welche Folgen hat die mangelhafte Wasserversorgung für die Landwirtschaft?
Über Jahrhunderte war die palästinensische Gesellschaft agrarisch geprägt. Ein Großteil ihres Selbstverständnisses gründete auf der Kultivierung und dem Erhalt von Grund und Boden. Die Wasserpolitik wird also nicht nur als ein Angriff auf ihre materiellen Existenzgrundlagen empfunden, sondern auch auf ihre Identität.
Was können wir in Deutschland gegen diese Ungerechtigkeit unternehmen?
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sollte in die Wasserinfrastruktur in den besetzten Gebieten investieren. Entscheidender jedoch sind die Advocacy-Arbeit der Friedens- und Menschenrechtsorganisationen und diplomatische Bemühungen, um den Druck auf die israelische Regierung zu erhöhen, damit eine gerechte und faire Verteilung der Wasserressourcen an die Palästinenser*innen gewährleistet wird. Wasser ist ein Menschenrecht und die israelische Regierung kommt diesem Grundrecht der Palästinenser*innen nur sehr unzureichend nach. Das sollten wir nicht hinnehmen.
Krieg im Nahen Osten
Zum Entstehungszeitpunkt dieses Artikels im Oktober 2023 ist durch den Angriff des israelischen Militärs auf den Gazastreifen und die damit einhergehende Zerstörung der Infrastruktur die Wasserversorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung fast völlig unterbrochen. Dies hat zu einer humanitären Krise geführt.
Auch im Gazastreifen herrscht seit Jahrzehnten Wasserknappheit. Denn auch dort wird die Wasserversorgung durch die israelische Besatzungsmacht kontrolliert. Nach dem internationalen Völkerrecht muss insbesondere in Kriegszeiten die Versorgung der Zivilbevölkerung mit lebenswichtiger Infrastruktur geschützt bleiben.
Einstiegsbild: Wassertanks in Ostjerusalem Foto: Robert Hofmann