EU-Agrarpolitik
Soll Europa die Welt ernähren?

Das neu gewählte Europaparlament hat viele wegweisende Entscheidungen zu treffen. Eine der wichtigsten ist die Ausrichtung der ‚Gemeinsamen EU-Agrarpolitik‘ (GAP) bis 2030. Die GAP verteilt derzeit Subventionen in Höhe von fast 60 Milliarden Euro jährlich, 114 Euro pro EU-Bürger. Diese Steuergelder machen in der EU bis zur Hälfte des Einkommens der Landwirte aus. Die GAP bestimmt damit ganz wesentlich, welche Art der Bewirtschaftung sich für Betriebe lohnt – und welche nicht. Da derzeit rund 75 Prozent der Subventionen pauschal pro Fläche ausgezahlt werden, sind meist große Betriebe im Vorteil, die mithilfe von Technik und Chemie viel produzieren können – zu niedrigeren Preisen als die kleineren Konkurrenten. Rücksicht auf Umwelt und Tierwohl zahlt sich kaum aus. Naturschonende Maßnahmen in Ackerbau oder Viehhaltung, wie selteneres Mähen und Düngen, der Erhalt von Hecken und Brachflächen oder die Reduzierung der Viehdichte, werden viel zu wenig oder gar nicht honoriert.

Ein vom NABU beauftragter wissenschaftlicher „Fitness Check“ hat der GAP ein verheerendes Urteil ausgestellt. Sie erfüllt weder ihre eigenen selbst gesteckten Vorgaben noch die Anforderungen der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs).

GAP-Versagen I: Ökologisch

Die immer intensivere und flächenfressende Landwirtschaft ist weltweit ein Hauptfaktor für das dramatische planetare Artensterben, wie der jüngste Bericht des Weltbiodiversitätsrats von Anfang Mai 2019 bestätigt. In der EU gibt es hierfür schon seit Jahren klare Daten und Belege dafür, wie die GAP das Artensterben maßgeblich befeuert. Die Artenvielfalt ist jedoch Grundvoraussetzung für eine leistungsfähige und widerstandsfähige landwirtschaftliche Produktion. Ohne den Schutz von artenreichen Wiesen und Wäldern, die große Mengen Kohlenstoff speichern, sind zudem auch die Pariser Klimaziele keinesfalls zu erreichen. Intensive Viehhaltung und Düngung tragen in Deutschland nicht nur zu Überschreitung von Grenzwerten im Grundwasser bei, sondern auch mit über 10 Prozent zu den deutschen Treibhausgasemissionen. Dabei sind noch gar nicht die Klimafolgen der Futtermittelimporte eingerechnet, für die unzählige Lebensräume gerade in Südamerika weichen müssen.

GAP-Versagen II: Sozial

Erklärtes Ziel der GAP ist zum einen, die Einkommen von Bäuerinnen und Bauern zu unterstützen. Das Gießkannensystem der pauschalen Flächenprämien tut dies jedoch ohne jede Bedürftigkeitsprüfung – wer mehr Fläche hat, bekommt mehr. Ein erheblicher Teil der Gelder bleibt dabei überhaupt nicht bei den Bewirtschaftern, sondern fließt weiter an verpachtende Grundbesitzer und die Hersteller und Händler der benötigten Pestizide und Düngemittel. Dennoch beteuert gerade der Deutsche Bauernverband und die amtierende Bundeslandwirtschaftsministerin immer wieder, die Flächenzahlungen seien unverzichtbar und das geeignete Mittel um die Zukunft gerade von Familienbetrieben zu sichern. Es stellt sich die Frage, wessen Interessen hier wirklich bedient werden. Rechnungshöfe und Finanzpolitiker stellen diese Art von „Sozialpolitik“ inzwischen vehement in Frage.

GAP-Versagen III: Ökonomisch

Ein weiteres Ziel der GAP ist es, europäische Agrarprodukte auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu machen. Den Betrieben wird gesagt, der Export (und damit eine hohe Produktion zu niedrigen Preisen) sei die beste Möglichkeit, um Krisen auf den heimischen Märkten zu meistern. Das anhaltende „Höfesterben“ in Deutschland zeigt, dass viele Landwirte diesen Wettlauf nicht gewinnen können oder wollen. Gleichzeitig ebbt – trotz beendeter direkter Exportsubventionen – die Debatte darüber nicht ab, ob die EU-Exportstrategie nicht auch die nachhaltige Entwicklung von Märkten in Afrika, Lateinamerika und Asien behindert. Ganz besonders fatal: Die Geschäftsinteressen eines Teils der europäischen Agrar- und Nahrungsmittelwirtschaft werden hierzulande politisch gerne mit dem Argument unterfüttert, man müsse ja eine steigende Weltbevölkerung ernähren und den Hunger bekämpfen.

Können wir die Welt ernähren ohne den Planeten zu zerstören?

Vertreter der Agrarindustrie verweisen gerne auf die wachsende Weltbevölkerung, die ernährt werden müsse. Ein Ansteigen der Produktion und die Exportorientierung seien hierfür nötig und vernünftig, gerade in Zeiten der Klimakrise, die in vielen Entwicklungsländern die Produktion weiter einschränken werde. Ein Dilemma? Muss der Natur- und Klimaschutz hinter dem Ziel der Hungerbekämpfung zurückstecken? Oder sind die Argumente vorgetäuscht, um ein gut geöltes Geschäftsmodell am Laufen zu halten?

Der NABU meint: Eine europäische Landwirtschaft, die auf Kosten der Umwelt produziert, trägt nicht zur Ernährungssicherheit bei. Denn selbst wenn wir Europäer in einer klimatisch erschütterten Welt einmal einen relevanten Teil der Welternährung übernehmen müssten, dann können wir das nicht mit ruinierten Böden und ohne Artenvielfalt tun. Je mehr unsere Importe von Soja oder Palmöl dabei auch noch die Ökosysteme in Entwicklungsländern zerstören, desto mehr gefährden wir die weltweite Ernährungssicherheit und die Chancen von Kleinbauern, von denen ein großer Teil der Welternährung abhängt. Notwendig ist eine naturschonende Erhöhung der Produktivität, gekoppelt mit Bildungs- und Entwicklungschancen, dort, wo es tatsächlich Unter- oder Mangelernährung gibt.

Auch wenn EU-Exporte in Einzelfällen zur Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern beitragen mögen – eine Produktionssteigerung in Europa auf Kosten der Umwelt ist der falsche Weg. Die Weltbevölkerung ernähren wir nur mit Rücksicht auf Klima und Natur, unter Beachtung der planetaren Grenzen. Tierhaltung und Fleischkonsum müssen dafür jedoch auf ein ökologisch wie medizinisch gesundes Maß reduziert werden. Die Lebensmittelverschwendung muss minimiert, der Anbau von Bioenergiepflanzen gestoppt werden. Unter diesen Voraussetzungen stünde für eine naturschonende Landwirtschaft weltweit wesentlich mehr Fläche zur Verfügung als heute. Fairer Handel mit Agrarprodukten kann und muss im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen geschehen, hierfür sind aber ausreichende Standards in den Handelsabkommen der EU unumgänglich.

 

Der Autor Konstantin Kreiser ist Leiter für Globale und EU-Naturschutzpolitik beim NABU, mit 700.000 Mitgliedern und Förderern der größte deutsche Naturschutzverband. Mehr Info: neueAgrarpolitik. Dieser Kommentar wurde zuerst im Querbrief 2/2019 „Globale Klimakrise – Lokale Katastrophe“ veröffentlicht. Titelfoto: K. Karkow, NABU