Land Grabbing
Ursachen und Folgen von Landnahme in Entwicklungsländern

Seit dem Jahr 2012 kämpfen zivilgesellschaftliche Organisationen in Senegal an der Seite von Bauern und Bäuerinnen gegen Land Grabbing. Ziel ist es, die Zugangs- und Nutzungsrechte für ländliche Gemeinden zu sichern. Die Reformvorschläge gegen Land Grabbing wurden 2017 dem Präsidenten Macky Sall überreicht. Seitdem ist auf politischer Ebene wenig passiert – bis eine Delegation der Weltbank 2019 das Land bereiste. Sie hatte einen Plan im Gepäck, der eine vollständige Privatisierung der Bodenrechte vorsieht und die Vorschläge der lokalen Gemeinden ignoriert.

Ursachen und Folgen von Land Grabbing in Senegal

Nach Präsident Salls Amtsantritt 2012 war das Thema Bodenreform auf die politische Agenda gesetzt worden. Landflucht und Urbanisierung, Schäden durch den Klimawandel und der Rückgang landwirtschaftlich nutzbarer Flächen hatten Veränderungen im Zugang und der Nutzung von Land hervorgerufen. Dies machte eine Aktualisierung des bestehenden Bodenrechts notwendig. Das seit 1964 bestehende Gesetz Loi de Domaine National (LDN) blieb bis heute unverändert und ist insbesondere zur Sicherung der Landrechte für bäuerliche Gemeinden unzureichend. Neben dem Land in Staats- und Privatbesitz sieht die darin festgelegte dritte Kategorie vor, dass bestimmte Flächen dem ganzen Volk gehören und von denjenigen Personen zeitlich begrenzt genutzt werden können, die diese Flächen in Wert setzen. Erstaunliche 95 Prozent des Landes werden als solche „Nationaldomäne“ definiert und dürfen nicht verkauft, verpachtet oder an nichtortsansässige Personen vergeben werden. Diese Besonderheit im senegalesischen Bodenrecht wird jedoch zunehmend vom Staat ausgehöhlt, um großflächige Landtransaktionen ohne vorherige Befragungen der Bevölkerung durchzuführen – obwohl dies gegen den erst 2016 reformierten Artikel 25 der senegalesischen Verfassung und Artikel 21.(1) der von Senegal ratifizierten Banjul-Charta, der „Afrikanischen Charta der Menschenrechte“, verstößt. Beide Artikel garantieren das Recht der Völker auf die Souveränität über ihre Ressourcen.

 

Mann auf dem Weg in ein Dorf in Senegal. In Senegal ist Landgrabbing ein Problem.

16% des Ackerlandes in Senegal befanden sich 2012 in der Hand ausländischer Konzerne.
Jeder fünfte Senegalese ist unterernährt. © Enda Pronat

 

Seit 2008 ist es infolge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise zu einem Run auf fruchtbares Land gekommen. Die als Nationaldomäne deklarierten Flächen fallen immer öfter privaten Investoren zum Opfer. Die in der Banjul- Charta vorgesehenen Entschädigungen sind unangemessen oder fehlen ganz. Um das LDN zu umgehen, werden lokale Gemeindevertreter unter Druck gesetzt oder von Entscheidungen ausgeschlossen. Mitunter werden staatliche Dekrete erlassen, die die Flächen zuerst als Staatsbesitz umschreiben, um sie danach weiter an ausländische Investoren zu verkaufen oder zu verpachten. Dies verstößt nicht nur gegen das geltende Bodenrecht, die Fläche für den öffentlichen Nutzen (utilité publique) in Wert zu setzen, sondern ebenfalls gegen Artikel 21.(5) der Banjul-Charta. Dieser verpflichtet den Staat, die wirtschaftliche Ausbeutung der Bevölkerung durch internationale Investoren zu unterbinden. Bis 2013 waren hiervon 840.000 Hektar, das heißt 16 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche in Senegal betroffen. Durch den Widerstand von Zivilgesellschaft und lokalen Gemeinden wurden jedoch bis 2018 etwa die Hälfte der geplanten Vorhaben abgebrochen oder in kleinerem Maßstab durchgeführt. Doch nicht in allen Fällen wurde das Land vollständig an die Gemeinden zurückgegeben.

Internationaler Druck auf Entwicklungsländer begünstigt Land Grabbing

Während sich die Bevölkerung in verschiedenen Teilen des Landes weiter gegen Fälle von Land Grabbing mobilisierte, erließ die Regierung in aller Stille ein Dekret zur Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen (SWZ). Hiermit sollen weitere ausländische Investoren angelockt werden. Die Zivilgesellschaft erfuhr hiervon per Zufall und mobilisierte die Bevölkerung – bislang jedoch ohne Erfolg. Der Ausverkauf an chinesische Investoren hat bereits im Industriepark von Diamniadio nahe Dakar begonnen. Weitere SWZ sind im Aufbau, und verschiedene Gemeinden sollen umgesiedelt werden. Hinter dieser Politik verbergen sich internationaler Druck und ein Policy-Dokument der Weltbank. Eine Delegation aus Washington bereiste das Land im Mai 2019, um ein neues Projekt zu lancieren: dieses soll verbriefte Bodenrechte, die Privatisierung natürlicher Ressourcen und die Einführung eines Katasters unterstützen. Grundsätzlich ist gegen den Aufbau eines Katasters nichts einzuwenden, wenn es als Planungselement auf der kommunalen Ebene allen Akteur*innen zur Verfügung steht. Soll dieses jedoch im privatrechtlichen Sinne eingesetzt werden, um agroindustriellen Unternehmen und Investoren auf Kosten der Bevölkerung zur Umsetzung ihrer landwirtschaftlichen Exportstrategie zu verhelfen, würde dies gleich mehrere Menschenrechte gefährden und liefe den in der Banjul-Charta festgelegten Prinzipien zuwider. Die staatliche und internationale Unterstützung von ausländischen Investoren und das neue Weltbank-Vorhaben stehen den Bemühungen von Bauernverbänden und Zivilgesellschaft gegenüber, langfristig Ernährungssouveränität zu garantieren. Sie unterstützen die Gemeinden dabei, die Kontrolle über ihr Land wieder zu erlangen und durch nachhaltige Anbaumethoden eine Alternative zur industriellen Landwirtschaft zu entwickeln. Denn die Landwirte haben mit Unterstützung der Zivilgesellschaft bewiesen, dass sie ihre Produktion durch agrarökologische Praktiken steigern können, wenn ihnen die Entscheidungsverantwortung über gemeinsam genutzte Ressourcen (Boden, Wasser, Biodiversität) gesichert bleibt. Nur dann können Ernährungskrisen, Hunger und Klimawandel – besonders in den ländlichen Räumen – wirksam bekämpft werden.

Lokale Bündnisse gegen Land Grabbing

„Der Staat sollte sein Volk schützen“. © Enda Pronat

Diskussionsrunde mit der lokalen Bevölkerung zur Bodenreform. © Enda Pronat

Zum Auftakt des Reformprozesses wurde 2012 vom Präsidenten eine Nationale Kommission zur Bodenreform eingerichtet. Im Rahmen einer Dokumentation von Land Grabbing-Fällen entstand zur selben Zeit das Bündnis Cadre de Recherche et d‘Action sur le Foncier au Sénégal (CRAFS), ein Zusammenschluss von Bauernorganisationen, Wissenschaft und NGOs. Das Bündnis führte in einem inklusiven Prozess zunächst landesweit Workshops mit der ländlichen Bevölkerung durch, um über zentrale Fragen zum Landrecht zu diskutieren. Im Verlauf dieses Prozesses organisierten sich die Gemeinden in lokalen Plattformen zur Verteidigung ihrer Rechte sowie zu einer besseren Mobilisierung im Fall von Land Grabbing. Anschließend organisierte CRAFS in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen partizipative Planspiele, um mit den Bauern und Bäuerinnen Vorschläge zur Bodenrechtsreform zu erarbeiten. Das Ergebnis dieser umfassenden Konsultationen war eindeutig: Die ländliche Bevölkerung spricht sich für die Beibehaltung der Nationaldomänen aus, also dem Verbleib der Landressourcen in den Händen der Gemeinden. Dies müsse von einer Entwicklung von Familienbetrieben durch geeignete Finanzierungssysteme gefördert werden. Die Forderungen wurden vom CRAFS in den politischen Dialog mit der Bodenrechtskommission eingebracht und somit die Vorschläge von der Basis auf die institutionelle Ebene gehoben. Die Kommission hat in ihrem finalen Rahmendokument zur Bodenpolitik diese Empfehlungen zum größten Teil berücksichtigt und insbesondere den Erhalt der Nationaldomänen festgehalten. Dieses Dokument, das einen empfehlenden Charakter hat, wurde im Frühjahr 2017 in Anwesenheit der Zivilgesellschaft dem Präsidenten überreicht, bei dem nun die finale Entscheidung liegt. Die Kommission wurde aufgelöst. Die Umsetzung der Reform steht bis heute aus.

Was bedeutet Land Grabbing?

Um Deviseneinnahmen zu erzielen, verkaufen oder verpachten Regierungen von Entwicklungsländern im großen Stil Ackerflächen an Staaten und private Investoren wie Agrarkonzerne und Investmentfonds. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei die fruchtbarsten und wasserreichsten Gebiete. Die dort lebenden Kleinbauern und Kleinbäuerinnen sowie Nomadenvölker verfügen selten über offizielle Besitztitel für ihr traditionell genutztes Land und werden oft gewaltsam vertrieben. Diese Formen von Land Grabbing haben in den letzten Jahren gewaltige Ausmaße erreicht: Weltweit waren allein 2009 in Entwicklungsländern 56 Millionen Hektar Land betroffen. Das entspricht mehr als der halben Ackerfläche der gesamten EU.

 

Der vorliegende Text basiert auf dem Beitrag „Senegal: Bäuerlicher Widerstand gegen Landgrabbing und die Reform des Bodenrechts“ im Magazin von FIAN Deutschland e.V. Die Autorin Marie von Schlieben arbeitet als Fachkraft für den Weltfriedensdienst bei der lokalen Partner-NGO Enda Pronat in Senegal. Enda Pronat ist Gründungsmitglied vom CRAFS und hat den Reformprozess zum Bodenrecht maßgeblich begleitet.