Transition-Towns
Wenn wir das Beste aus weniger Dingen herausholen würden ...

Als maßgeblicher Initiator der internationalen Transition-Towns-Bewegung erzählt Rob Hopkins von den Wurzeln der Transition-Towns. Er veranschaulicht, welches Potenzial in den zukunftsorientierten Initiativen steckt, die sich unter anderem mit alternativen Formen von Politik, Gemeinschaft und Konsum beschäftigen.

Rob Hopkins ist Initiator der Transition-Towns-Bewegung und einer der herausragendsten Umweltaktivisten Großbritanniens. Er publiziert, forscht, ist Permakultur-Spezialist und gründete eine Brauerei.

Als ein paar Freunde in London einen Markt ins Leben riefen, auf dem lokale Produzenten bis heute nachhaltig erzeugtes Gemüse und Obst anbieten und damit jede Menge Preise gewinnen, habe ich sie gefragt: „Warum habt ihr das gemacht?“. Ihre Antwort: „Wir wollten, dass unsere Kinder einen solchen Markt für die normalste Sache der Welt halten.“ Meine Freunde engagieren sich bei der Transition-Town- Bewegung in London, wo es genau darum geht: Dinge normal zu machen, die bisher nicht normal waren. Erst kürzlich war vom Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) zu hören, dass sich alle Aspekte der Gesellschaft in einem nie dagewesenen Ausmaß verändern müssen. Konkret forderte der IPCC weniger Fleischkonsum, weniger Konsum insgesamt und einen geringeren Energieverbrauch. Von allen Seiten hören wir mahnende Stimmen, die darauf verweisen, dass Ressourcen wie Erdöl nicht nachwachsen und dass wir unser Verhalten daher grundlegend ändern müssen. Aber keiner sagt uns, wie viel besser die Welt sein könnte, wenn es kein Erdöl mehr gäbe. Wäre sie vielleicht interessanter? Könnten wir vielleicht coolere Partys feiern? Hätten wir in einer solchen Welt vielleicht sauberere Luft, abwechslungsreicheres Essen, mehr Kommunikation und Geselligkeit? Als wir die Transition-Town-Bewegung gründeten, wollten wir genau das tun: Geschichten über ein Leben in dieser Welt erzählen. Klar ist, die Welt in ihrem jetzigen Zustand ist nicht perfekt. Aber wie könnten wir dazu beitragen, dass sie besser wird?

Learning aus den Transition-Towns: Wirtschaft näher an die Menschen bringen

Im Französischen gibt es das wunderbare Wort „Bricolage“. Es bedeutet, das Beste aus weniger Dingen herauszuholen. Bei Lebensmitteln bedeutet das, dass wir auf lokale und saisonale Produkte zurückgreifen. Und dass die Bierfans unter uns ihr Lieblingsgetränk von einer Brauerei beziehen, die maximal 15 Kilometer entfernt liegt. Wow! Man stelle sich vor, was alles möglich wäre! Meine Erfahrung mit der Transition-Town-Bewegung zeigt, dass wir die Wirtschaft näher an die Menschen heranbringen müssen. Unsere Phantasie ist so viel produktiver, wenn wir uns mit Grenzen und Herausforderungen befassen müssen! Wenn Erdöl keine Option mehr ist, stellt sich die Frage: Wie kann es uns gelingen, in einer Welt der Bricolage in den kommenden fünf oder zehn Jahren ein gutes Leben zu führen? An diesem Punkt unserer Geschichte müssen wir extrem einfallsreich sein und die Welt aus dem Blickpunkt der Phantasie, der Bricolage, der Gemeinschaft und der Verbundenheit betrachten. Denn nur daraus entstehen Lösungen. Ich glaube, dass wir uns dadurch einen sehr viel gesünderen Umgang mit unseren Ressourcen angewöhnen können. Erst Grenzen lassen unsere Kreativität sprudeln und machen uns wirklich produktiv. Andernfalls geht es uns wie dem User, der bei Google nichts eingibt, aber trotzdem erwartet, dass ihm etwas Interessantes angezeigt wird. Das Schwinden der natürlichen Ressourcen ist eine enorme Chance für uns. Es ist eine Einladung, die Welt von Grund auf neu zu denken. Wir werden Lösungen finden, wenn wir dies wirklich wollen, wenn wir uns von den vielen neuen Möglichkeiten herausfordern und faszinieren lassen. Im Zuge dieses Prozesses werden wir auch neu definieren, wie die Demokratie funktioniert. In Irland gibt es bereits heute spezielle Bürgerversammlungen. Dabei werden drei Themen bestimmt, die von allgemeinem Interesse sind, z. B. Abtreibung oder Homosexuellen-Ehe. Danach werden nach dem Zufallsprinzip 1.000 Bürger ausgewählt, die stellvertretend für die Gesamtbevölkerung stehen. Die ausgewählten Bürger haben ein Jahr Zeit, um sich mit Unterstützung durch Experten eine Meinung zu bilden. Danach formulieren sie Vorschläge, die der irischen Regierung vorgelegt werden. Diese bringt dann entsprechende Eingaben in das Parlament ein. Für mich ist dieses Prozedere ein Beispiel für eine reife, lebendige Demokratie. Es schafft Vertrauen und bringt die Menschen einander näher, indem es Raum für Kreativität und Phantasie lässt. Bei der Transition-Town-Bewegung geht es immer um folgende Fragen: Was können wir in unserer Nachbarschaft, unserem Viertel, unserer Stadt tun? Wie können wir Menschen zusammenbringen und etwas schaffen, was ich als „Was wäre wenn“-Orte bezeichne? Orte, an denen Menschen zusammenkommen können, um gemeinsam über die Zukunft nachzudenken. An diesen Orten werden dann „Was wäre wenn“-Fragen gestellt: Was wäre, wenn innerhalb einer Generation der Großteil der hier verzehrten Lebensmittel in der unmittelbaren Umgebung produziert würde?

Offenheit und Kreativität gegen toxische Verschwörungstheorien

„Was wäre wenn“-Fragen sind offen für die verschiedensten Antworten und laden die Menschen dazu ein, ihre Meinung beizusteuern und die Dinge von dort aus weiterzudenken. Ich bin davon überzeugt, dass wir diese Räume schaffen müssen, ob auf lokaler oder städtischer Ebene, und dass wir die Mechanismen unserer Demokratie ändern müssen. Wenn wir dies nicht tun, werden wir ultrarechte Bewegungen erleben, wie sie zurzeit schon vielerorts zu sehen sind. Bewegungen, die entstehen, weil sich die Menschen machtlos fühlen, weil sie Verschwörungstheorien anheimfallen und dann irgendwann meinen, dass das gesamte System nur auf ihre Vernichtung abzielt. Ein solches Gefühl ist toxisch. Indem wir „Was wäre wenn“-Räume schaffen, können wir einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass dieses Gefühl erst gar nicht entsteht. Was hat mich persönlich bewogen, die Transition-Town- Bewegung ins Leben zu rufen? Begonnen hat alles, als ich 14 und überzeugter Punk war. Für die Punk-Kultur war eine Art von Do-it-yourself-Mentalität typisch: Wenn dir die gängige Musik nicht gefällt, dann mach halt deine eigene! Du kannst gar nicht Gitarre spielen? Macht nichts, leg einfach los! Spiel drei Akkorde und gründe eine Band. Dieser Spirit hat mich zutiefst angesprochen.

Die Wurzeln der Transition-Towns und Ron Hopkins persönliche Geschichte

Als wir die Transition-Town-Bewegung gegründet haben, gab es sehr viele Menschen, die Ideen für einen sozialen Wandel hatten. Es fühlte sich an, als hätten Surfer am Strand auf die perfekte Welle gewartet, um endlich auf ihre Boards zu springen und loszulegen. Wir hatten das Glück, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Es war eine Zeit, in der es eine große Debatte über den Klimawandel und die schwindenden Vorräte an fossilen Energieträgern gab. Viele Antworten basierten stark auf Angstmacherei und waren ziemlich egoistisch. Eine typische Aussage lautete: „Ich verzieh mich einfach in die Berge und lebe dort ganz für mich allein als Aussteiger.“ Für meine Familie konnte ich mir ein solches Szenario eher nicht vorstellen. Als College-Dozent habe ich mich viele Jahre mit der Permakultur beschäftigt. Ich bin im Buddhismus verwurzelt und habe mich stets der „Bodhisattva-Ethik“ verpflichtet gefühlt. Sie postuliert ein Leben im Dienst der Mitmenschen, das darauf beruht, was der jeweilige Mensch zum jeweiligen Zeitpunkt braucht. Ich hatte das große Glück, dass meine Familie, meine Frau und meine Kinder diese Lebenseinstellung immer mitgetragen haben. Sie helfen mir dabei, mich der Welt und ihren Problemen zu stellen. Meine vier Söhne sind ganz selbstverständlich in die Transition-Town-Bewegung hineingewachsen, wobei ich sie aber nie zu irgendetwas verpflichtet habe. Mein jüngster Sohn ist 15, mein ältester 25 Jahre alt. Unsere Kinder sollten in einer Familie aufwachsen, in der es normal war, Nahrungsmittel selbst anzubauen und täglich Speisen auf den Tisch zu bringen, die aus natürlichen Zutaten und nicht aus Fertigprodukten bestanden. Unser Haus hat eine Solaranlage, wir machen das Licht aus, wenn wir einen Raum verlassen, und solche Dinge mehr. Für unsere Familienurlaube verzichten wir auf Flugreisen. Wir essen nur wenig Fleisch. Unsere Kinder hatten viel Zeit zum Spielen und wuchsen in einem Haushalt ohne Fernseher und Smartphones auf. Die Konsumkultur an und für sich halte ich für zutiefst schädlich, und sie hat für junge Menschen noch ganz andere negative Folgen: Forschungen haben gezeigt, dass die intensive Nutzung von Technologien zu einem Verkümmern der Vorstellungskraft führt. Momentan arbeite ich an einem Buch über Phantasie, und am liebsten würde ich eine TV-Serie zu diesem Thema machen. In dieser TV-Serie würde ich den Zuschauern gerne Anregung dazu geben, wie aus neuen, ungewohnten Dingen etwas ganz Normales werden kann. Ich glaube, dass wir gerade erst anfangen zu verstehen, wie wir unsere Vorstellungskraft immer weiter stärken können.

Transition-Towns-Initiativen in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Auch in vielen deutschen Städten wie Hannover, Bielefeld und Darmstadt haben sich Transition-Towns gegründet. Das Transition Netzwerk verzeichnet online alle aktiven Initiativen im deutschsprachigen Raum:

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Zur Karte der Transition-Towns beim Transition-Netzwerk e.V.: Link

 

Der vorliegende Text ist unter dem Titel “Rob Hopkins: Was wäre, wenn … wir das Beste aus weniger Dingen herausholen würden?” im KOMPASS-Magazin (Nr. 7) des Weltfriedensdienst erschienen.